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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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gemeinsamen Dasein gehabt hatte.
    Ob sie an dem Zustand litt, in dem sie beide lebten? Diese Frage war seit etwa zwölf Jahren ungeklärt, seit der Zeit, als ihm das Absterben ihrer erotischen Beziehung endgültig klar geworden war, und zwar exakt durch Mariannes Satz: »Ich muss mich erst an dich gewöhnen«.
    Der Satz wurde gesprochen, als Glabrecht von einer einwöchigen USA-Reise nach Frankfurt zurückkehrte und als er sich Marianne stürmisch und in entschlossen penetrativer Mission nähern wollte. In Gedanken an den bevorstehenden Geschlechtsverkehr hatte er bereits im Flugzeug eine schmerzvolle Dauererektion domptieren müssen. Allerdings war ihm damals durchaus bereits aufgefallen, dass das gemeinsame präsexuelle Herumwursteln immer länger dauerte. Angefangen hatte das spätestens nach Mariannes gescheiterter Schwangerschaft. Kochen, Kulturveranstaltungen, Planungen für die Wohnungsgestaltung und, vor allem, das gemeinsame Einkaufen von Kleidung und Einrichtungsgegenständen – solche Handlungen hatten zu geschehen, ehe an etwas anderes zu denken war. Marianne musste sich offenbar durch umfangreiche Beziehungstätigkeit in die Kopulationslust hineinsteigern. Nach seiner Rückkehr aus den USA hatte das drei Tage gedauert.
    Damals, als er diese Dinge bemerkte, hatte Glabrecht das Gefühl, mit seiner Ehe einem gigantischen existentiellen Betrug zum Opfer gefallen zu sein. Zwischendurch fragte er sich selbstverständlich, ob nicht er selbst es gewesen war, der sich von seiner Frau zurückgezogen hatte. Die beruflichen Belastungen durch seinen Job bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Eschborn waren immer größer geworden, und er hatte sich häufiger als früher die Frage gestellt, ob er in diesem bürokratischen Monster sein Leben begraben wollte. Das wird Marianne ihm zweifellos angemerkt haben, auch den zunehmenden Weinkonsum. Für Glabrecht selbst hatte es allerdings nichts an seiner Ehefrau gegeben, an das er sich plötzlich hätte gewöhnen müssen, schon gar nicht ihren Körper.
    Später entzog sich Glabrecht dann den verschiedenen konsumtiven und kulturellen Beziehungstätigkeiten deswegen radikal, weil sie höchst selten zu etwas führten. Es entstand der Status Quo, in dem beide nun lebten.
    Offiziell äußerte Marianne neuerdings die Meinung, dass die penetrative Sexualität innerhalb einer Paarbildung auf jeden Fall aufrechterhalten werden müsse, koste es, was es wolle. Andernfalls drohe die Trennung. Diese Auffassung vertrat sie nicht nur in ihren Kolumnen im Frauenjournal Laura , wo sie für ihre explizite Sprache bekannt war. Als ihre Freundin Susanne, die von ihrem Mann verlassen worden war, gestand, seit Jahren keinen Sex mehr mit diesem Mann gehabt zu haben, worunter sie übrigens keineswegs gelitten habe, hatte Marianne gesagt: »Wenn du deine Beziehung retten willst, musst du dafür sorgen, dass Sex stattfindet! Und wenn du dich dazu zwingen musst! Das Ding muss rein!«
    Das gab sie lachend von sich, obwohl Glabrecht und sein Ding neben ihr saßen, so, als habe ihre Bemerkung gar nichts mit diesen beiden zu tun.
    »Hör gut zu und merk dir das, Susanne«, sagte Glabrecht damals, von der Seite her, »das ist die alte Schule.«
    2.
    »Übrigens«, sagte Marianne und tippte mit dem Zeigefinger in den Rasierschaum auf der unbearbeiteten Wange Glabrechts, »Du hast vergessen, dich zu Ende zu rasieren, und« – sie neigte ihren Kopf nach unten, lachte halb scherzhaft, halb höhnisch – »meinst du tatsächlich, das da unten wird schöner, wenn du es rasierst? Ich bin da sehr skeptisch.«
    Glabrecht warf den Kopf verärgert zur Seite, ließ Marianne wortlos stehen und ging zurück in sein Bad, um die Rasur zu vollenden. Gegen sieben Uhr vierzig verließ er das Haus, endlich glatt rasiert und ohne Abschiedsküsschen oder dergleichen für seine Frau. Solche Dinge hatten sie sich schon lange abgewöhnt. Marianne machte ihren Kram, er den seinen. Heute musste sie nach Hamburg in die Laura- Redaktion. Für dieses Blatt schrieb sie eine Menge. Sie produzierte außerdem recht zahlreiche Kulturfeatures und Buchbesprechungen für Radio Bremen und den NDR .
    Lucie lief miauend neben ihm her. Sie hatte Hunger, und Marianne würde sie gleich füttern. Glabrecht bückte sich, um das Tier, das ihn mit großen schönen Augen anblickte, zu streicheln. Das bepelzte warme Köpfchen drückte sich erstaunlich kräftig nach oben in seine Handfläche.
    Es war jedes Mal ein erhebender Moment, wenn
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