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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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dann R, Ö und B Bescheid wegen der Bürobesprechung?«
    »B ist seit gestern krank, Herr Senator. Soll B1 dazu kommen?«
    »Auf jeden Fall. Was hat B denn?«
    »Eine Lungenentzündung.«
    »Uijuijui, das hört sich nicht gut an! Grüßen Sie ihn von mir. Gute Besserung wünsche ich.«
    B, B1 und B2 waren die Leute, die alles vorbereiteten und verwalteten, was mit dem Senat und der Bürgerschaft zu tun hatte, B wie »Bürgerschaftsreferent«.
    Glabrecht schloss seine Zimmertür, und jetzt war er erst einmal allein mit den gewohnten Einrichtungsgegenständen. Der große Besprechungstisch mit den zwölf Polsterstühlen. Das Glasregal mit den wichtigsten Bremensien, mit der Handbibliothek und dem kleinen Kaktus, den ihm Frau Scholz vor zwei Jahren als überaus originelle Anspielung zum Geburtstag geschenkt hatte, die einzige Zimmerpflanze, die Glabrecht duldete. Alle ein, zwei Wochen bekam sie ein Schlückchen kalten Tee. Seit ein paar Tagen wuchsen wundervolle pinkfarbene Blüten aus der Pflanze, ein Kranz aus zartesten Blütenblättern, Staubgefäßen – alles aus genau demselben Material, das vorher graugrüner Kaktus war!
    Die stets blank polierte Edelstahlthermoskanne mit grünem Tee stand rechts auf dem Schreibtisch. Glabrecht mochte die Kanne nicht besonders, weil sie sein Gesicht in grässlicher Verzerrung spiegelte, mit dicker Nase und schwachsinnigen Augen. Und er empfand diese Verzerrung durchaus als die Wahrheit, wie sie zum Vorschein trat. Rechts die Telefonanlage, in der Mitte der Neunzehnzoll-Monitor, die Tastatur, die Maus. Links, wie immer, die drei exakt ausgerichteten Stapel aus den eingegangenen Vorgangsmappen, den grünen und den eiligen roten. Die Mappen des dritten Stapels trugen den Aufkleber »sofort«. Die ganze Anordnung brachte ein wenig Struktur und Ruhe ins Glabrechtsche Leben.
    Ehe er sich jedoch mit diesen Stapeln beschäftigte, fuhr er den PC hoch und begann sofort damit, »Adriana Fallhorn« in allen vorhandenen Google -Kategorien zu suchen. Außer einem Treffer auf der erstaunlich unprofessionell wirkenden Website der Nordic Urban Development war da jedoch nichts zu finden. Vor allem: Es gab nirgends ein Foto von ihr. Nirgends war sie präsent, nicht bei Facebook, nirgends. Welches Foto würde sie denn von ihm finden, einmal angenommen, sie würde nach »Georg Glabrecht« suchen? Glabrecht probierte das sofort aus. Die Google -Bildersuche brachte zwanzig-, dreißigmal das schlimme offizielle Senatsfoto zum Vorschein. Die Pressefotos waren eher noch übler. Zerrüttet und zerfressen sah er aus, eben genau so, wie er schon immer ausgesehen hatte. Und alt natürlich. Es mussten dringend bessere Fotos gemacht werden.
    Glabrecht öffnete sein Outlook -Programm: Ein paar E-Mails von seinen Abteilungsleitern, eine von einem wichtigen Weinlieferanten, eine von Christoph Madlé, ansonsten nichts.
    »Nichts!«
    Dieses Wort hatte Glabrecht laut ausgesprochen. Verärgert stellte er anschließend fest, dass er tatsächlich gehofft hatte, Adriana könnte ihm eine Mail geschickt haben, und zwar derart schnell und an seine dienstliche E-Mail-Adresse! Der Serotoninspiegel in den Gehirnen von Verliebten sollte ja tatsächlich ebenso niedrig sein, wie das bei schwer Depressiven der Fall war. Verliebte, so hatte er gelesen, seien Depressive mit glücklichen Unterbrechungen, die einträten, wenn die Geliebten anwesend und willig waren.
    War er etwa verliebt? Dieses Wort ernst zu nehmen, hatte er sich doch untersagt! Aber vielleicht hatte er lediglich vergessen, woran man den besagten Zustand erkannte? Vielleicht daran, dass er die Mail von Christoph Madlé, immerhin ein wichtiger Mensch in seinem Leben, nicht einmal geöffnet hatte, weil ihn offenbar nichts anderes interessierte als diese junge Frau, von der er allerdings, genau genommen, fast gar nichts wusste? Er hatte Adriana Fallhorn seine Visitenkarte gegeben, die privatere der beiden Varianten, die er besaß. Beide präsentierten ein geprägtes Senatswappen. Die eine verzeichnete ausschließlich die dienstlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Die andere, die vertraulichere Variante, zeigte die privaten Kontaktadressen vorne und die dienstlichen auf der Rückseite, und zwar in diesem Fall einschließlich der Nummer des Autotelefons.
    Aber was bildete er sich ein? Glaubte er denn tatsächlich, ihr Interesse hätte ihm als Geschlechtswesen gegolten? Glabrecht drehte seinen lederbezogenen Bürostuhl, blickte durch die bodentiefen Fenster über die Stadt,
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