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Die Jagd am Nil

Die Jagd am Nil

Titel: Die Jagd am Nil
Autoren: Will Adams
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Prolog
    Am Südufer des Mariutsees, 415 vor Christus
    Endlich war der Putz getrocknet. Markus klaubte eine Handvoll Dreck und Sand vom Boden und schmierte sie über die frische weiße Oberfläche, bis sie trübe und dunkel und vom Rest der Wand praktisch nicht mehr zu unterscheiden war. Er hielt seine Öllampe davor, fügte an manchen Stellen etwas Dreck hinzu, bis er zufrieden war. Eigentlich hätte diese Arbeit die Augen eines jüngeren Mannes erfordert. Schließlich ging er noch einmal durch die alten, vertrauten Gänge und Kammern, sagte Lebewohl zu seinen Kameraden und Vorfahren, zu einem ganzen Leben voller Erinnerungen, dann stieg er die Stufen hoch und trat hinaus.
    Es war bereits später Nachmittag. Die Zeit drängte.
    Er verschloss die Bodenluke und schaufelte Sand und Steine darüber. Dumpf schlugen sie auf das Holz, seine Gewänder raschelten, der eisenbeschlagene Spaten knirschte. Bald hörte er in diesen Geräuschen das entfernte Geschrei des Pöbels. Es wurde so laut und klang so echt, dass er innehielt. Doch abgesehen von seinem schweren Atem, dem Pochen seines Herzens und dem Rieseln des Sandes herrschte absolute Stille.
    Es waren nur die Ängste eines einsamen, alten Mannes.
    Im Westen senkte sich die Sonne und färbte den Himmel blutrot. Normalerweise kamen sie in der Nacht, so wie es Übeltäter taten, doch allmählich wurden sie mutiger. Am Morgen hatten ihn am Hafen misstrauische Gesichter angestarrt. Einstige Freunde begannen, hinter seinem Rücken zu flüstern. Menschen, derenKrankheiten er ohne Rücksicht auf seine eigene Gesundheit behandelt hatte, betrachteten ihn wie einen Aussätzigen.
    Er schaufelte weiter, schneller und schneller, um die Angst zu ersticken, ehe sie ihn überwältigte.
    Er hatte geglaubt, dass seine Gemeinde auch dieses Mal davonkommen könnte. Schließlich hatte sie schon unzählige Verfolgungen und Kriege überlebt. Dummerweise hatte er gedacht, dass sich ihre Ansichten am Ende behaupten würden, waren sie doch wesentlich stärker und vernünftiger als der frömmlerische, grausame Unsinn des sogenannten rechtschaffenen Weges. Aber er hatte sich geirrt. Wenn Ängste im Menschen aufkamen, verlor die Vernunft jede Macht.
    Arme Hypatia! Diese schöne, weise und sanfte Frau. Man sagte, dass Kyrill von Alexandria ihre Hinrichtung persönlich befohlen hatte. Epiphanes war Zeuge gewesen, obwohl noch ein Knabe und viel zu jung für solch einen Anblick. Der Pöbel war von diesem scheinheiligen Ungeheuer Petrus dem Leser angeführt worden, was Markus nicht überraschte. Sie hatten Hypatia von ihrem Wagen gezerrt, ihr die Kleider vom Leibe gerissen und sie in die Kirche geschleppt, ihr mit Austernschalen das Fleisch von den Knochen geschnitten und ihre Überreste dann verbrannt.
    Männer Gottes nannten sie sich. Wie war es möglich, dass sie nicht erkannten, was sie in Wahrheit waren?
    Die Sonne war untergegangen. Sofort kühlte es ab. Seine Bewegungen wurden langsamer, schließlich war er kein junger Mann mehr. Dennoch machte er weiter. Je eher er fertig war, desto schneller konnte er aufbrechen und seine Familie und Gefährten einholen, die nahe Hermopolis oder vielleicht sogar bei Chenoboskion Zuflucht suchten, je nachdem, wie weit sich dieser Irrsinn ausgebreitet hatte. Er hatte sie mit Schriftrollen und anderen wichtigen Besitztümern vorausgeschickt, mit ihren seit Jahrhundertenangesammelten Weisheiten. Doch er selbst war zurückgeblieben. In den letzten Jahren waren sie nachlässig geworden. Es war kein Geheimnis, dass sie hier einen unterirdischen Komplex erbaut hatten; die absurden Gerüchte über ihre Reichtümer und versteckten Schätze waren auf verschlungenen Wegen auch zu ihm gedrungen. Wenn diese Schurken nur gründlich und lange genug suchten, würden sie irgendwann die Stufen finden, egal wie gut er sie verbarg. Deshalb hatte er den Eingang zur Taufkammer zugemauert. Vielleicht könnte so wenigstens dieser kleine Teil ihres Erbes überdauern, selbst wenn die unterirdische Anlage entdeckt wurde. Und vielleicht würde eines Tages wieder Vernunft einkehren, sodass auch sie zurückkommen konnten. Und wenn nicht sie selbst, dann ihre Kinder oder Kindeskinder. Oder die Menschen eines späteren Zeitalters. Eines vernünftigeren, erleuchteten Zeitalters. Vielleicht würden diese Menschen die in den Gemäuern gesammelten Weisheiten wertschätzen, anstatt sie zu hassen oder zu verleumden.
    Er hatte den Schacht aufgefüllt und trat den Sand fest, bis die Stelle nur noch
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