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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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mit euch? Ihr seht ja ganz erschöpft aus.«
    Dennys keuchte. »Ich ... ich fürchte, wir haben einen… einen Hitzeschock.«
    Japheth musterte sie besorgt. »Die Sonnenkrankheit kann gefährlich sein.« Er reckte sich auf die Zehen, berührte Dennys‘ Wange, schüttelte den Kopf. »Kalt und feucht. Ein schlechtes Zeichen.« Er legte die Hand auf die Stirn und schien intensiv nachzudenken. Dann sagte er: »Wie wäre es mit einem Einhorn?«
    »Was meinst du?« fragte Sandy. Er war hundemüde und nicht gerade für Späße aufgelegt.
    »Wenn wir zwei Einhörner herbeidenken, und zwar so, daß sie wirklich werden, könnten sie euch zur Oase tragen.«
    »Hm«, sagte Dennys. »Ich weiß nicht, wie wir ernsthaft an Fabelwesen glauben sollen.« Er runzelte die Stirn. »Jays Einhörner erinnern mich irgendwie an Mutters virtuelle Partikel.«
    Sandy widersprach. »Virtuelle Partikel sind keine Fabel, sondern eine Hypothese. Eine Annahme.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und stellte erstaunt fest, daß sich die Schweißtropfen tatsächlich kalt anfühlten.
    »Na schön«, sagte Dennys. »Wenn Mutter an ihre verrückten Theorien glaubt, sollten wir auch an virtuelle Einhörner glauben können.«
    »Was für Einhörner?« fragte Japheth verwirrt. »Habt ihr Probleme, weil ihr fremde Riesen seid?« Er wandte sich an das Mammut. »Hig!« befahl er.
    Das Mammut bekam starre Augen. Vor ihm begann der Sand zu flirren und zu schimmern. Langsam nahm der Reflex die Gestalt eines Einhorns an. Es war durchsichtig, aber deutlich zu erkennen. Neben ihm schimmerte ein zweites Einhorn auf.
    »Bitte, bitte!« flüsterte Dennys. »Werdet wirklich!«
    Die Erscheinungen verfestigten sich, und zuletzt standen zwei Einhörner mit silbergrauen Flanken, silbernen Mähnen, silbernen Hufen und hell strahlenden Hörnern da. Gehorsam knickten sie die Beine unter den Leib, als wollten sie die Zwillinge zum Aufsitzen ermuntern.
    »Gut, daß ihr so jung seid. Ich hatte vergessen, daß sich Einhörner nur von Unberührten berühren lassen,« rief Japheth.
    »Unberührt?« stammelte Dennys. »Nun, wir… wir haben noch nicht einmal den Führerschein.«
    »Klettert auf ihren Rücken, ehe die beiden glauben, daß sie nicht gebraucht werden«, warnte Japheth.
    Es war ein Traum. Ein Traum, aus dem es kein Erwachen gab. Und es war die Rettung. Die einzige Rettung.
    Die Einhörner flogen durch die Wüste; ihre Hufe griffen kaum in den Sand. Gelegentlich stießen sie auf eine blanke Felsplatte, dann klang das glöckchenhell, dann stoben die Funken. Da und dort sah Sandy von Sonne und Wind gebleichte Knochen liegen.
    »Festhalten!« rief Japheth. »Fallt nicht herunter!«
    Nein, das war ein unwirklicher Ritt. Und schon fühlte Dennys, wie er den Halt verlor. Er wollte nach der silbernen Mähne greifen, aber sie rieselte ihm wie Sand durch die Finger. Löste sich sein Einhorn wieder auf oder forderte die gnadenlose Sonne endgültig ihren Preis?
    »Dennys!« rief Sandy. »So halte dich doch fest!«
    Dennys fühlte, wie ihm alles entglitt. Er wußte kaum noch, ob er selbst oder das Einhorn zwischen Sein und Nichtsein flackerte.
    Dann war da wieder etwas Festes. Sandy auf dem anderen Einhorn. Sandy, der ihn mit starken Armen faßte und vor dem endgültigen Absturz bewahrte. Er saß wieder oben, die virtuellen Partikel waren wieder wirklich, keine Laborphantasie. Sein Kopf drohte zu bersten.
    Japheth und das Mammut liefen neben ihnen her. So klein sie waren, hielten sie doch mühelos mit. »Schneller!« trieb Japheth die Einhörner an. »Schneller!«
    Sandy flatterten die Hemdzipfel um den Kopf. Er nahm nur vage wahr, daß er immer noch den Bruder stützte. Er atmete in kurzen, schweren Stößen, die in der Kehle brannten. Sein Kopf schwoll an, füllte sich wie ein Ballon mit heißer Luft, drohte abzuheben, in den Himmel zu entschweben…
    Das Mammut überholte Japheth, setzte sich an die Spitze, führte sie auf dem Weg zur Oase. Die stämmigen Beinchen bewegten sich so rasch, daß sie wie Bienenflügel schwirrten. Von Zeit zu Zeit hob es den Rüssel, trompetete, trieb die Einhörner ungeduldig an. Japheth keuchte vor Anstrengung-
    Aber sie kamen trotz allem nicht rasch genug voran. Dennys verlor das Bewußtsein, und als ihm schwarz vor den Augen wurde, erlosch das Licht, das von dem Horn des Tieres ausging, und weil Dennys das Hören und Sehen und Denken verging, löste sich das Silberwesen langsam auf, und mit ihm flackerte auch Dennys zwischen Sein und
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