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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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weiter getan.« Sandys Knie gaben unter ihm nach; ermattet fiel er aufs Lager. »Ich habe nur zum erstenmal jemanden durch meine Größe und mit meinem Sonnenbrand erschreckt.«
    »Du bist ein sanfter Riese«, sagte der Alte.
    Sandy fühlte sich zu schwach für jeden Widerspruch. »Und ich dachte, ein Mantichora sei bloß ein Fabelwesen. Es gibt sie nur in der Mythologie, aber nicht wirklich.«
    Großvater Lamech mußte lächeln. »Frage die Seraphim. Sie werden dir alles erklären. In diesen Tagen ist vieles wirklich.« Er schaute sich um. »Wo ist der Skarabäus?«Auch das Mammut schaute sich suchend um. Doch ein Scharren an der Zeltwand lenkte sie ab. Das war offenbar ein vereinbartes Zeichen, denn das Gesicht des Alten erhellte sich, und er rief: »Tritt ein, Yalith!« Er wandte sich erklärend an Sandy. »Meine jüngste Enkeltochter.«
    Die Klappe ging auf, ein Mädchen schlüpfte herein. Es war etwa so groß wie Lamech und brachte eine flache Steinschale, die mit Öl gefüllt war und in der ein Docht brannte. Wie Japheth und Großvater Lamech war Yalith nur mit einem Lendentuch bekleidet. Sie hatte einen schlanken Körper, zarte Brustknospen, Haut von der Farbe einer reifen Aprikose, bronzeschimmerndes, lockiges Haar, das sanft über die Schultern fiel. Sandy schätzte, daß Yalith etwa in seinem Alter sein mußte. Sie war sehr schön.
    Er setzte sich auf und nickte ihr zum Gruß zu.
    Yalith ließ beinahe die Öllampe fallen. »Ein Riese!«
    »Er sagt, er sei keiner«, erläuterte Großvater Lamech. »Japheth brachte ihn zu mir, und es soll sogar einen zweiten wie ihn geben, aber der ging mit einem Einhorn auf. Japheth sucht ihn. Dieser da ist sanft. Eben hat er Higgaion vor dem Mantichora gerettet.«
    Yalith schauderte. »Das hörte ich vorhin brüllen. Es stahl sich mit einer Ratte davon.« Sie stellte die Öllampe auf ein Holzfäßchen. »Ich habe dein Nachtlicht gebracht, Großvater Lamech.«
    »Ich danke dir, mein gutes Kind.« Die Stimme des Alten verriet tiefe Zuneigung.
    Sandy verbeugte sich. »Hallo. Ich bin Sandy Murry.« Er grinste befangen.
    Sie schaute ihn unschlüssig an und wich einen Schritt zurück. »Du sprichst nicht wie einer von uns. Bist du bestimmt kein Riese?«
    »Ich bin ein ganz gewöhnlicher Junge. Tut mir leid, daß ich so schrecklich aussehe. Außerdem habe ich einen Sonnenbrand.«
    Jetzt betrachtete sie ihn offen. »Das sieht man. Wie können wir dir helfen?«
    Higgaion tauchte den Rüssel in den Krug und spritzte Sandy mit Wasser an.
    Großvater Lamech sagte: »Higgaion hält seine Haut feucht. Aber ich glaube, wir werden einen Seraph bitten müssen, sich um ihn zu kümmern.«
    »Ja, das wäre gut. Woher kommst du, Riese Sand?«
    »Aus den Vereinigten Staaten von Amerika«, sagte Sandy, obwohl ihm bewußt war, wie wenig das diesem schönen fremden Mädchen begreiflich machen konnte.
    Sie lächelte ihm zu, und die Wärme ihres Lächelns hüllte ihn ein.
    »Die Vereinigten Staaten sind – hm, ein… ein Land«, versuchte er zu erklären. »Wir sind gewissermaßen… Abgesandte von dort, wenn auch durch reinen Zufall.«
    »Und du hast einen Bruder, der mit einem Einhorn ging?«
    Sie sagte das, als wären Dennys und das Einhorn bloß zu ihrem Vergnügen unterwegs.
    »Ja, Dennys ist mein Bruder. Wir sind Zwillinge. Eineiige Zwillinge. Für Leute, die uns nicht kennen, sehen wir zum Verwechseln ähnlich. Japheth sucht ihn jetzt.«
    »Dann wird er ihn auch finden. – Brauchst du noch etwas, Großvater Lamech?«
    »Nein, meine liebe Yalith.«
    »Ich muß nämlich gleich heim. Die Frauen meiner Brüder sind gekommen, und Mutter möchte, daß ich alle vom Streiten abhalte.«
    Sie lächelte zum Abschied, wandte sich erst ihrem Großvater, dann Sandy zu. Der war benommen vom Fieber, aber auch von Yalith. Stumm starrte er sie an. Zum erstenmal war er froh, daß Dennys nicht da war. Doch dann packte ihn wieder die nackte Angst. »Dennys...«
    »Japheth wird ihn finden«, sagte der Alte beruhigend. »Und bis dahin… Higgaion, sieh nach, wo unser guter Skarabäus ist.«
    Higgaion trompetete leise und verließ das Zelt.
    Kurz nachdem Yalith und Higgaion gegangen waren, erlitt Sandy einen Fieberanfall, der ihn geradezu lähmte. Im Zelt war es dunkel; durch die Öffnung im Dach kam kaum Licht, und die Öllampe flackerte nur. Sandy schloß die Augen, drehte sich auf die Seite, fühlte sich wie leer.
    Dennys. Gut, daß Dennys Yalith nicht gesehen hatte…
    Higgaion kam zurück, ging zu Großvater
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