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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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Wasserkrug. »Das wird deine Heilung beschleunigen.« Wieder lächelte er. »Nur gut, daß du die Alte Sprache beherrschst.«
    »Aber ich verstehe doch gar nicht…«
    »Du verstehst. Hast du denn nicht erst mit Japheth und dann mit Großvater Lamech gesprochen?«
    »Doch. Das schon.«
    »Vielleicht kam dir die Gabe zu, weil du keine Zeit fandest, darüber nachzudenken.« Das Lächeln des Seraphs erhellte das Zelt. Er wandte sich an Lamech. »Hülle ihn darin ein, wenn die Nachtkälte kommt.« Er streifte sein
    Gewand ab. Nun waren seine Flügel deutlich zu sehen. Sie schimmerten golden wie das goldene Haar des Seraphs, überstrahlten sonnenhell das schwache Licht der Öllampe. »Die Tierfelle sind zu rauh für seine verbrannte Haut. Ich komme bei Tag wieder und sehe nach ihm. Zuvor kehre ich bei Japheth ein. Ich will wissen, ob er den Bruder schon fand.«
    Während Adnarel sprach, fielen Sandy die Augen zu. Japheth sucht Dennys. Adnarel hilft ihm dabei. Der Seraph ist gekommen. Alles wird wieder gut.
    Seine Sinne schwanden. Es wurde weich und dunkel.

Japheths Schwester Yalith
    Y alith verließ das Zelt ihres Großvaters und eilte der eigenen Behausung zu, die mitten in der Oase lag. Wie Japheth trug auch Yalith einen Beutel an der Hüfte, aber statt des Bogens benützte sie ein Blasrohr. Die Pfeilspitzen waren mit einer Flüssigkeit getränkt, die jeden Widersacher vorübergehend lähmten, ohne ihn zu töten. Sie wirkten sogar gegen das Mantichora. Das war stark und unberechenbar, aber weder klug noch tapfer. Yalith fürchtete sich nicht vor ihm, eher schon vor manchen Jünglingen in der Ansiedlung, und deshalb hielt sie unterwegs stets einen Pfeil griffbereit.
    Jenseits des Weidelandes rund um Lamechs Zelt querte sie einen seiner Haine und erreichte die Dünen. Fast begrub der weiße Sand die wenigen dürren Halme. Wo immer die Brunnen für die Bewässerung nicht ergiebig genug waren, breitete sich die Wüste aus. Aber Yalith zog ohnehin die weiten Dünen den staubigen, schmutzigen Pfaden vor, die durch die Oase führten.
    Die Sterne strahlten vom nachtschwarzen Samthimmel.
    Vor Yaliths Zehen bohrte sich ein verspäteter Käfer in den Sand. Zu ihrer Rechten schnatterten schläfrig die Affen in Lamechs Hain.
    In einiger Entfernung ragte ein Felsklotz auf. Yalith sah den dunklen Schatten darauf lagern, vergewisserte sich, daß es ein Löwe war und rief leise: »Aariel!«
    Die Gestalt erhob sich gemächlich, sprang vom Felsen und kam ihr in weiten Sprüngen entgegen. Jetzt erst erkannte sie, daß sie sich im fahlen Licht hatte täuschen lassen. Es war kein Löwe, sondern eine jener großen Wüstenechsen, die man gewöhnlich Drachen nannte, obwohl ihre Flügel verkümmert waren und sie nicht fliegen konnten. Erschrocken, wie versteinert, blieb Yalith stehen, Pfeil und Blasrohr zur Hand.
    Plötzlich bäumte sich die Echse auf, zwei Arme wuchsen aus ihrem Kopf, der Schwanz gabelte sich in zwei Beine – und nun lief ein großer junger Mann auf Yalith zu, ein Jüngling von außergewöhnlicher Schönheit, alabasterweißer Haut und leuchtend purpurfarbenen Flügeln. Auch sein langes schwarzes Haar war von vereinzelten Purpursträhnen durchzogen. Seine Augen strahlten wie Amethyste.
    »Du hast mich gerufen, Liebliche?« Er neigte sich ihr zu, ein fragendes Lächeln auf den Lippen, die blutrot aus dem weißen Gesicht leuchteten.
    »Nein, nein«, stammelte sie, »nicht dich. Ich hielt dich für Aariel.«
    »Doch bin ich Eblis, nicht Aariel. Du hast mich gerufen, und hier bin ich, dir zu Diensten.« Seine Stimme schmeichelte. »Kann ich dir einen Wunsch erfüllen?«
    »Nein. Vielen Dank, nein.«
    »Kein Gehänge für deine Ohren, deinen lieblichen Hals?«
    »Nein. Vielen Dank, nein«, wiederholte sie. Ihre Schwestern würden sie für dumm halten, ein solches Anerbieten auszuschlagen. Die Nephilim waren großzügig. Dieser Nephil konnte ihr alles geben, was er versprach, und so manches dazu.
    »Wie rasch du dich gewandelt hast«, sagte er. »Du warst ein Kind, jetzt bist du kein Kind mehr.«
    Instinktiv kreuzte sie die Hände über den Brüsten und stammelte: »Doch. Doch, ich bin ein Kind. Ich bin noch nicht einmal hundert Jahre alt…«
    Er strich ihr mit schlanken, fahlen Fingern das sternenbeschienene Haar aus der Stirn. »Fürchte dich nicht vor dem Heranwachsen. Dich erwarten zahllose Freuden, und nur allzu gern will ich dir helfen, sie alle auszukosten.«
    »Du?« Sie starrte ihn überrascht an, den Herrlichen an ihrer
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