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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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rief nach der Mutter.
    Der Geruch weckte Dennys aus der Ohnmacht. Der Geruch juckte in der Nase. Sein Magen hob sich. Es stank nach Küche, nach Rauch, nach ranzigem Fett. Nach alter Jauche. Und vor allem nach abgestandenem Schweiß und billigem Parfüm.
    Er öffnete die Augen.
    Er war von Wänden umgeben. Über ihm wölbte sich ein Dach. Durch die Öffnung an der Decke schien der Mond. Heller noch strahlte das Licht aus dem Horn des Einhorns. Das warf den Kopf herum, witterte unruhig, scharrte den verdreckten Lehmboden auf. Vor seinen Hufen krümmte sich ein Mammut.
    »Higgaion!« wollte Dennys rufen – aber es war nicht das Mammut, das Japheth begleitet hatte. Sein Fell war verfilzt, und es war so mager, daß sich unter den Flanken das Skelett abzeichnete. Die Augen blickten stumpf. Das Mammut wirkte unterwürfig, als bäte es das Einhorn um Vergebung.
    Da waren auch einige kleine Menschen. Sie hatten Dennys noch nicht bemerkt, starrten nur das Einhorn an. Aber so wie das Mammut nicht Higgaion glich, glichen diese Leute nicht Japheth. Sie stanken. Die Körper der Männer waren dicht behaart. Beinahe Affenleiber. Die Lendenschurze aus Ziegenfell waren schmutzig. Zwei bärtige Männer, zwei Frauen, auch sie nur mit Lendenschurzen bekleidet. Die Frauen rothaarig, das Haar der Jüngeren einigermaßen gepflegt, flammend rot. Die Ältere mit vielen Runzeln im Gesicht. Sie sah mürrisch drein.
    Das Licht aus dem Horn des Einhorns brach sich in den grünen Augen der Jüngeren, ließ sie wie Smaragde funkeln. »Seht ihr!« rief sie triumphierend. »Ich wußte, daß uns das Mammut ein Einhorn herbeidenken kann.«
    Das Licht aus dem Horn wurde schwächer.
    Der jüngere der beiden Männer, der mit dem ungekämmten dichten braunen Haar und dem roten Bart, in dem Speisereste hingen, knurrte dem Mädchen zu: »Und was fängst du jetzt mit ihm an, meine liebe Schwester Tiglah?«
    Sie ging auf das Einhorn zu, streckte ihm die Hand entgegen, als wolle sie es streicheln. Ein blendender Lichtblitz schoß aus dem Horn, und dann war es im Zelt schlagartig so dunkel, daß sich Dennys‘ Augen erst nach einigen Sekunden wieder an den fahlen Schein gewöhnten, der durch die Öffnung in der Decke kam.
    Die Männer brüllten vor Lachen. »Ho ho, Tiglah, du dachtest wohl, du könntest uns übertölpeln, was?«
    Sogar die ältere Frau lachte mit. Bis sie Dennys erblickte, der langsam auf die Knie kam. »Großer Auk, wen haben wir denn da?«
    Die Rothaarige stieß einen Schrei aus. »Einen Riesen!«
    Der ältere Mann faßte nach einem Speer und drang auf Dennys ein. Dennys spürte ein Würgen im Hals. Das kam nicht nur von dem überwältigenden Gestank im Zelt, sondern auch von der plötzlichen Todesangst. Er wich der Speerspitze aus, fiel auf einen Stapel verkrusteter Felle, überschlug sich. Die Waffe verfehlte ihn, streifte ihn bloß, kratzte über die Haut. Jetzt strich die Speerspitze prüfend über seine Schulterblätter.
    »Gehört er dir, Tiglah?« fragte der Jüngere. »Du triffst dich doch mit einem Nephil.«
    Tiglah musterte Dennys neugierig. »Der da ist kein Nephil.«
    Auch die andere Frau betrachtete ihn mißbilligend. »Für einen Riesen ist er eher klein geraten. Er ist ungefährlich.«
    »Was machen wir mit ihm?« fragte Tiglah.
    Der Ältere zog den Speer zurück. »Wir werfen ihn hinaus.« Seine Stimme klang gleichgültig. Für ihn war Dennys nicht mehr als ein nutzloser Gegenstand.
    Sie packten ihn links und rechts. Das Mammut wimmerte. Die Frau versetzte ihm einen Fußtritt.
    Für einen Augenblick: frische Luft. Sternenübersäter
    Himmel. Dann kollerte Dennys über einen steilen Hang, landete in einer Jauchegrube. Mußte sich übergeben. Kam auf die Knie, auf die Beine. Kletterte hoch, rutschte zurück, konnte sich endlich über den Rand der Grube ziehen. Stand da, schlotternd, schmutzstarrend. Hatte Angst.
    Weit und breit kein Sandy, kein Einhorn, keine Spur von Japheth oder Higgaion. Zelte. Dahinter Palmen. Auf die rannte er zu, stolpernd, stinkend, mit letzter Kraft. Jenseits der Palmen alles weiß. Weißer Sand. Die Wüste. Er ließ sich in den Sand fallen, rollte über die Dünen, rieb sich die Jauche vom Leib. Zog den Pulli aus und warf ihn weg. Wusch sich mit Sand. Streifte die verdreckte Unterwäsche ab, wusch sich mit Sand. Es war ihm nicht bewußt, daß er zugleich auch die sonnenverbrannte Haut abschabte. Nur sauber wollte er wieder werden, sauber. Der Sand war kühl. Fort mit den Schuhen, den Socken. Sand über
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