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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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Wieder rief er, drängender: »Higgaion!«
    Um den Rand der Klippe ringelte sich ein graues Etwas. Erst dachten die beiden, es sei eine Schlange, aber dann folgte ein Kopf mit kleinen schwarzen Leuchtaugen und großen, fächerförmigen Ohren, ein plumper, mit grauem Zottelhaar bedeckter Leib, ein dünnes Schnurschwänzchen.
    »Higgaion!« Japheth war erleichtert. »Warum kommst du nicht gleich, wenn ich dich rufe?«
    Das Tier – es war etwa so groß wie ein junger Hund oder eine ausgewachsene Katze – deutete mit dem Rüssel auf die Zwillinge.
    Japheth tätschelte ihm den Kopf. Er mußte sich dazu nicht einmal bücken, so ein Winzling war er. »El sei Dank, daß dir nichts passiert ist.« Er wies auf die beiden Jungen. »Sie sind wahrscheinlich nicht böse. Sie sagen, sie seien keine Riesen. Und obwohl sie hochgewachsen sind wie Seraphim oder Nephilim, gehören sie offenbar nicht zu ihnen.«
    Vorsichtig stakste das Tier zu Sandy hin, der sich bückte, den Arm ausstreckte und seine Hand beschnuppern ließ. Dann kraulte er das seltsame Geschöpf behutsam wie einen Hund und spürte, wie es sich unter der sanften Berührung entkrampfte.
    »Was ist ein Seraphim?« fragte er Japheth.
    »Und ein Nephilim?« ergänzte Dennys. Vielleicht ergab die Antwort Hinweise auf den Ort, an dem sie so unvermutet gelandet waren.
    »Oh, sie sind sehr groß«, sagte Japheth. »Wie ihr. Aber anders. Große Flügel. Und viele lange Haare. Und Körper wie eure. Auch unbehaart. Die Seraphim sind golden und die Nephilim weiß, weißer als Sand. Eure Haut ist… ist ebenfalls anders. Hell und weich, als wäre sie nie in der Sonne gewesen.«
    »Bei uns daheim ist Winter«, erklärte Sandy. »Aber im Sommer, wenn wir oft draußen sind, werden wir ganz braun.«
    »Dein kleines Tier sieht beinahe aus wie ein Elefant«, sagte Dennys. »Was ist es?«
    »Ein Mammut.«Japheth gab ihm einen liebevollen Klaps.
    Sandy hörte sofort auf, Higgaion zu kraulen. »Mammuts sind viel größer!«
    Dennys dachte an die Abbildung in seinem Schulbuch. Ja, das konnte durchaus ein Mammut sein. Er überlegte. Japheth war die Miniaturausgabe eines hübschen, starken jungen Mannes. Wie alt mochte er sein? Nur ein paar Jahre älter als sie selbst. Womöglich war hierzulande alles so klein geraten.
    »Es gibt nicht mehr viele Mammuts«, verriet Japheth. »Ich bin ein guter Wünschelrutengänger, aber Mammuts können Wasser besser aufspüren. Und Higgaion kann das am allerbesten.« Er streichelte ihm über den Kopf. »Also bat ich Großvater Lamech, ihn mir zu borgen, und gemeinsam haben wir eine Wasserstelle gefunden. Ich fürchte nur, sie ist zu weit von der Oase entfernt, als daß wir sie nützen könnten.«
    »Träumen wir das alles?« fragte Sandy.
    Dennys schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Ich bin froh, daß du das sagst.« Japheth lachte. »Das habe ich mich nämlich schon selbst gefragt. Ich dachte, ich träume, weil mich beim Erdbeben ein Stein an der Schläfe traf.«
    »Das war also tatsächlich ein Erdbeben?«
    Japheth nickte. »Sie kommen ziemlich oft vor. Die Seraphim sagen, das liegt daran, daß die Entscheidung noch nicht getroffen ist.«
    »Dann sind wir hier vielleicht auf einem jungen Planeten.« Sandy sagte das voll Hoffnung.
    »Wo kommt ihr her?« erkundigte sich Japheth. »Und wo wollt ihr hin?«
    Sandy sagte: »Wir kommen vom Planeten Erde, vom Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Es hat uns durch einen Unfall zu euch verschlagen. Und wohin wir wollen? Keine Ahnung.« »Am liebsten wieder nach Hause«, ergänzte Dennys, »aber wir wissen nicht, wie.«
    »Wo ist euer Zuhause?« fragte Japheth.
    Sandy seufzte. »Ich fürchte, sehr weit weg von hier.«
    Japheth musterte sie. »Ihr seid rot im Gesicht. Und naß.« Ihm schien die schreckliche Hitze nichts anzuhaben.
    Dennys sagte: »Wir schwitzen. Hoffentlich finden wir bald einen schattigen Platz, sonst bekommen wir einen Sonnenstich.«
    Japheth nickte. »Großvater Lamechs Zelt liegt am nächsten. Meine Frau und ich wohnen neben dem Zelt meines Vaters in der Mitte der Oase. Ich muß ohnehin Higgaion zu Großvater zurückbringen. Er ist sehr gastfreundlich. Wenn ihr wollt, bringe ich euch zu ihm.«
    »Das wäre nett von dir«, sagte Sandy.
    »Wir begleiten dich gern«, pflichtete Dennys ihm bei.
    »Als ob uns eine andere Wahl bliebe«, murmelte Sandy.
    Dennys boxte ihn in die Rippen. Dann rollte er sein Bündel auf und hohe den Rollkragenpulli heraus. »Wir sollten uns was anziehen«, sagte er. »Ich
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