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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin
Autoren: Robert Hueltner
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und begann zu laufen. Der Regen wurde heftiger. Als er die verschlossenen Marktstände am Viktualienmarkt erreicht hatte und unter einem Vordach Schutz fand, war Kajetan bereits völlig durchnäßt.
    Der Stand hatte einen Anbau, dessen Tür einen Spalt weit geöffnet stand. Ein schmaler Lichtstreifen flirrte über das Kopfsteinpflaster. Für Sekunden gaben Donner und prasselnder Regen Fetzen von Gelächter und Gesang frei. Kajetan trat neugierig näher.
     
     
    Kajetan brauchte einige Zeit, um sich im rauchigen Dunst der Baracke zurechtzufinden. Schwaden verbrauchter Luft zogen an ihm vorbei ins Freie. Ein Mann, der der Türe am nächsten saß, zog die Schultern zusammen. Er wandte sich leicht und musterte den Ankömmling aus den Augenwinkeln. »Mach die Tür zu, Baraber«, grunzte er, drehte sich wieder zurück, schob den Bügel von der Flasche und nahm einen Schluck.
    Niemand schien von Kajetan Notiz zu nehmen. Er sah um sich. Der Raum wurde von einer schwachen Petrollampe beleuchtet, die von der Mitte der niedrigen Decke hing. An den Wänden standen leere Holzkisten. Die Männer, es mochten etwa ein Dutzend sein, hatten ein paar von den Kisten zu Sitzgelegenheiten verwandelt. Einige von ihnen saßen um einen provisorischen Tisch und schlugen ihre Karten auf die Bretter. Die größere Gruppe lagerte auf unterschiedlich hohen Obststeigen und unterhielt sich lautstark. Eine grüne Flasche kreiste.
    Mehrere Männer schienen bereits betrunken zu sein. Rauchiger Atem stand vor den Gesichtern. Im Schatten hinter ihnen, abseits an der Rückwand und nahe eines zweiten Ausgangs, schnarchte ein greises, unkenntliches Etwas auf einer Pritsche, die, soweit man es erkennen konnte, aus zusammengestellten Kisten und einem lose darübergeworfenen Lumpenbündel bestand.
    Einer der Männer sang. Er wurde von Zwischenrufen und grobem Gelächter unterbrochen. Ein anderer lallte die Worte des Liedes nach. Kajetan verstand wenig; noch immer prasselte der schwere Regen auf das Barackendach. Er setzte sich und schob die nassen Haare aus der Stirn.
    Der Sänger, ein rundgesichtiger, gedrungen und kräftig gebauter Mann mit einem eigenartigen, bis unter das Kinn reichenden Halstuch hatte geendet, genoß den grölenden Beifall und nahm zufrieden einen Schluck aus der Weinflasche.
    Als er den Kopf nach hinten neigte, fiel sein Blick auf Kajetan, wanderte zur Seite und kehrte zurück. Er setzte die Flasche ab, ohne getrunken zu haben. Das trübe Oberlicht fiel auf eine körnig vernarbte Stirn, wulstige Wangen und den mächtigen Keil der Nase. Seine Augen lagen im Schatten.
    »Ah naa!« sagte er.
    Kajetan fror plötzlich. Seine Zähne klapperten. Er sagte sich, daß er sofort fliehen mußte, und erkannte gleichzeitig, daß dies nicht mehr gelingen würde. Er senkte ergeben den Kopf. Als er ihn wieder hob, sah ihn der Sänger noch immer an. Der Blick schien ihn abzutasten, maß Kajetans Haltung, wanderte von der durchnäßten Kleidung zu den Händen, die noch immer das umgeschlagene Revers des Mantels hielten, und blieb auf seinem Gesicht hängen. Er dachte an etwas, doch seine Miene verriet nichts.
    Kropf-Kare war zurückgekehrt.
    Der Regen war schwächer geworden; der Wind drückte gegen die Bretterwand. Das Pfostengebälk knarzte. »Kropf! Verzähl eine Gschicht!« krächzte der Besoffene.
     
     
    Er steigt an einem Sommernachmittag auf den Wiesenbichl vor dem Hof, streckt dort vor Seligkeit die Arme gegen die Sonne und läßt sich in das Gras fallen. Die weiche Matte ist warm wie seine Wiege. Es ist dunkel geworden. Er steht auf und geht zum Haus zurück, betritt den düsteren Stall. Vorne stehen die Kühe, gleichmütig fühlen sie sein freundliches Tatschen, an der Seite scharren und grunzen die Schweine. Die Schaf- und Ziegenkoben stehen leer. Es riecht herrlich. Er verläßt den Stall, geht an der Seitenwand des Gütls nach vorne, vorbei am vor Nässe tropfenden Bauerngarten. Ein dunkler Gesang fliegt heran; der Wind zieht durch die Dächer.
    Er liebt die Stille der Dorfkirche, liebt das Licht, das in gleißenden Stäben durch die bunten Fenster fällt. Seltsam sei er, sagt man, so seltsam. Und dann wandert er einmal, allein und ohne es Vater oder Mutter wissen zu lassen, zum Riesboden, hoch über dem Tal. Er geht auf das von mächtigen Kastanien beschattete Portal der vergessenen Einsiedelei zu.
    Ein Schatten schiebt sich über sein Gesicht, er betritt klopfenden Herzens den kalten, hohen Raum. Seine Augen weiten sich, glänzen. Er
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