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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin
Autoren: Robert Hueltner
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sieht nichts, hört nur noch das hallende, nackte Tappen seiner Sohlen auf den Steinplatten. Ein eigenartiger Zauber umfängt ihn, ihn schwindelt. Er hält den Atem an. Etwas wächst aus seiner Kehle, beginnt in ihm zu tönen.
    Es hört erst auf, als er die Stimme eines Mannes vernimmt, der hinter ihm die Kirche betreten hatte. Er erschrickt. Der Mann ringt nach Worten. »Deine Stimme… deine Stimme…«
    Wenig später stellt sich der Unbekannte dem verblüfften und mißtrauischen Vater als Stellvertreter des Hofkapellmeisters Levi in München vor. Er sei hier zur Sommerfrische, beginnt er. Und, nachdem man dazu nur nickt, sagt er, daß der Junge über eine außergewöhnliche, ja gesegnete Stimme verfüge und er darum bitte, sich seinen Vorschlag anzuhören. Die Eltern überlegen lange, dann stimmen sie zu. Eines Tages, es war nach dieser schlechten Ernte, verläßt der Junge das Dorf. Er lächelt scheu beim Abschied. Bis die lärmende Woge der Stadt über ihm zusammenschlägt, weint er.
    Alles um ihn ist jetzt schwarz und ernst. Doch wenn er singt, ist es ihm wie Atmen. Manchmal schließt er die Augen und sieht die Töne. Sie tanzen in der Luft, schwanken, torkeln fröhlich, steigen rasch auf, stehen wieder unbewegt und entfernen sich schwebend.
    Erst ist da nichts als ein erbsweicher Knoten am Hals. Dann schwillt die Haut an und treibt die Adern nach außen, als schmatze ein fetter Wurm darunter. Die Ärzte verständigen sich mit mitleidslosen Blicken. Sie urteilen leise. Nichts hilft. Die böse Geschwulst wächst, wuchert, sie dehnt sich bald vom Kinn zum Brustbein. Je schöner der Gesang des Jungen wird, desto häßlicher wird sein Äußeres. Man gibt ihm Tücher, welche die schier platzende Fläche verbergen sollen.
    Nach Monaten sagt man, er dürfe wieder nach Hause zurückkehren.
    Dort kriecht er zwischen die Tiere im Stall. Doch das Gelächter dringt durch alles. Er scheint sich zu ergeben, scheint sich nicht mehr zu wehren und wird älter und seltsam. An einem Tag im Winter starrt man ihn an, weil er zu singen begonnen hat. Er zieht sich an, wickelt sein Tuch und geht. Man will ihn halten, doch er schlägt plötzlich grob zu. Er wird erfrieren, sagen die Leute.
    Er erfriert nicht. Er geht ohne Rast. Am Abend ist er in Landshut und betritt eine Gastwirtschaft am Fluß. Er suche Arbeit, er sei kräftig. Wenn du ein gut tust, sagt der Wirt, kannst bleiben. Aber bleib beim Vieh, die Leut erschrecken sich, und schau dich um auf Lichtmeß.
    Er hat jetzt keine Hand frei, trägt einen schweren Pfosten, den er im Wirtsgarten einrammen soll. Ein betrunkener Fuhrknecht zieht ihm das Tuch vom Hals, reißt die Augen erschrocken auf und bricht in boshaftes Gelächter aus, dem sich alle Gäste anschließen. Er nimmt den Pfosten und erschlägt den Knecht. Zwei Schutzleute werden gerufen. Sie gehen die hölzerne Treppe empor und öffnen die Tür zur Kammer. Er sitzt auf dem Bett. Sein Kopf ist auf die Brust gesunken. Einer der Gendarmen spricht ihn an und möchte von ihm wissen, warum er den Mann erschlagen habe. Könne er nicht hören? Sei er taub? Warum er… ach! Die Gendarmen befehlen ihm zu folgen. Einer der beiden, der jüngere, hält es für unnötig, ihn zu fesseln. Der Täter gehorche ja. Sie führen ihn durch die Gaststube, durch ein Getöse aus Drohungen und Beleidigungen. Sie sind bereits an der Tür des Gasthofs, als einer schreit: »Kopf-ab, Kropf-Kare!«
    »Maul halten!« brüllt der junge Gendarm. Aber da ist er erwacht, packt die schwere Tür, drischt sie einem der Gendarmen an den Schädel und stößt den anderen um. Der erste Schutzmann bleibt benommen liegen, der andere verfolgt ihn. Es ist dunkel, rasche Fußtritte dort, ein Schatten hier. Sie sind sich immer nah. Sie rennen zwei Stunden.
    Der junge Gendarm gibt auf. Er nimmt seinen Helm ab. Sein Herz rast, er ringt nach Luft, hustet hart. Sein erster Fall. Er hatte versagt.
     
     
    Die Arbeiter sahen verwundert vom einen zum anderen. Die Kartenspieler legten ihr Blatt auf den Tisch.
    »Was hast denn auf einmal? Kare?«
    Der Sänger schwieg noch immer und hielt die Flasche vor seinen Lippen. Einer der Männer folgte seinem Blick.
    »Was ist denn das für einer? Sag - was bist du denn für einer? He? Heda, Baraber?«
    Der Betrunkene stieß Kajetan an. »fetzt seh ichs erst. Der gehört nicht in die Altstadt.«
    Ein zweiter war aufgestanden, hatte seinen Hut in den Nacken geschoben und sich hinter ihm aufgebaut.
    »Was suchst denn bei uns, mitten in der
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