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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
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säuerlichen Geruch, sucht und findet den Hohlraum, stöbert mit der Schnauze darin herum, reißt den Beutel auf, frisst das wunderbare Heroin und verteilt es überall an der Rinde und auf den Ameisen, die es weitertragen; bei der nächsten Runde, mit drei Kindern auf dem Rücken, trabt es freudig, die Pupillen verengt, das Wiehern schrill.
    Weiter weg, auf den Wiesen, verfolgen die Jungen, die im Kreis sitzen und reden, das Pony neugierig mit den Augen. Einer steht auf, lässt den blauen Stoff seiner Schlaghose flattern und geht auf den Baum zu. Ein Hund folgt ihm, einer von denen, die pfeilschnell den Park durchkämmen, das Fell verfilzt, die Pfoten gestreckt, der schmale Körper in wellenförmiger Bewegung wie ein Segel im Wind, während er zur Seite läuft, den Weg durch ein Beet abschneidet, munter und sinnlos eifrig, ohne Woher und ohne Wohin, und rasend schnell, wie jedes Tier ohne Ziel.
    Unterdessen hat der Junge, obwohl er mit Augen und Fingern gesucht hat, nichts gefunden und kehrt verärgert zurück, denn er hätte gern die Hostie - die er nach zehn Jahren ergebenen Kommunizierens noch immer im Mund spürt - in Heroin verwandelt, und dann wieder das Heroin in die Hostie, der Verdichtung wegen, in einem italienischen minimal-alchemistischen Prozess, der in diesen Jahren die Verwandlung des katholischen Ursprungs in ein pathologisches soziales Abdriften vorsieht, weißes Messkleid zu buschigen Koteletten, Konversion, Rekonversion und wieder zurück.
    Als der Junge sich wieder hinsetzt, dringt der Hund in den Kreis ein. Er schaut sich um, schnauft, jault zwei-, dreimal auf. Der Junge macht ein Geräusch mit dem Mund und ein Zeichen; der
Hund kommt, legt sich hin und verharrt, den Kopf flach zwischen den Pfoten, die Schnauze spitz zulaufend.
    Ich gehe weg, die Via Principe di Paternò wieder hinauf, weiter bis zur Via Libertà. Ich wechsle auf den Bürgersteig gegenüber, habe die Statue im Rücken, suche eine Querstraße auf der Linken. Ich finde sie, die Via Ugdulena. Hier wohnt Scarmiglia. Seine Eltern haben heute Nachmittag ein Karnevalsfest organisiert, er erträgt es. Auch ich ertrage es, und ich freue mich sogar fast darauf.
    Ich klingle an der Sprechanlage, man macht mir auf, und hinter dem »Wer ist da?« gibt es einen Wust von Geräuschen, Stimmen und Wind. Ich nehme den Aufzug, sehe mich im Spiegel an. Ich ziehe den Hemdkragen aus dem Pullover. Das sieht lässiger aus, echter. Ich trete aus dem Aufzug, ziehe die Nase hoch, läute an der Tür, die Tür öffnet sich, ich lege meine Jacke irgendwohin und dränge mich zwischen den Körpern durch den Nebel des Festes, in die Phantasmagorie, wo alles Dampf und Zersetzung und Tränen in den Augen ist. Da sind Verkleidungen, Karnevalszauber, Spiegel, brennende Lampen. Wir sind alle elf Jahre alt, niemand raucht, wir rauchen alle. Ich grüße nicht, sie grüßen mich, ich suche die Zigaretten in den Fingern, finde sie nicht, es sind keine da, ich weiß, dass sie da sind. Ich habe Blut an den Fingern, Jucken, die Finger hängen an der Hand, die Hand hängt am Handgelenk. Ich gehe herum und schaue und fühle, wie ich in Stücke zerfalle, in einzelne Glieder. Ich reiße mich zusammen, um ganz zu bleiben.
    Ich entdecke Scarmiglia, der allein im Wohnzimmer auf dem Boden vor dem Fernseher sitzt. Ich gehe zu ihm. Hinter ihm auf dem Tisch die braune Orangenlimonadenflasche, der Hals verjüngt, das Etikett unablösbar; das Tablett aus Metall, oval, mit Calzonestückchen, klein, rostfarben, mit Fingerspuren vom Zusammendrücken; das andere Tablett aus Metall, rund, mit Pizzastücken, die zu einer Pyramide geschichtet sein sollten, doch die Pyramide wurde ausgehöhlt und verschlungen: Jetzt ist in der Mitte die metallische Leere des Tabletts, überflutet vom gelben Licht der Glühbirnen, das vom Leuchter an der Decke strömt. Es
gibt auch Pommes in einer Salatschüssel aus weißer Keramik, da sind Krümel auf dem Tischtuch und dem Teppich und dann eine Spur ins Wohnzimmer.
    Ich setze mich neben Scarmiglia. Beobachte ihn, mir scheint, er ist nicht mehr sauer auf mich wegen der Geschichte mit dem Wettlauf, er ist aufs Fernsehen konzentriert. Mondbasis Alpha 1 . Maya, die mit Commander Koenig spricht. Maya ist schön, sie hat Kügelchen-Augenbrauen. Sie ist eine Metamorphin, eine Gestaltwandlerin, die aus Notwendigkeit oder zum Spaß ein kleiner Vogel Biber Alligator Puma wird. Und sie hat diesen graugrünen Geruch, der blitzschnell über sie hinwegkrabbelt.
    Scarmiglia
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