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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
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Morello zeichnet schreckliche Bewegungen in die Luft, schiebt mir die Bögen mit den Schlachtfeldern und die transparenten Blätter mit den Bildchen der Krieger zu; er nimmt den Ball und legt ihn zurück in das Glas; ich schaue einen Moment lang dem Blau nach, das sich langsam entzieht, das Geschenk, das verschwindet. Gedemütigt durch meinen Sinneswandel gehe ich nach Hause.
     
    Am Nachmittag ziehe ich ein paar Fotos aus Schubladen. Sie sind fast alle aus den letzten beiden Jahren. Einige habe ich mit der Polaroid 1000 geschossen. Mir gefällt das Zischen, wenn der Abzug aus der Kamera kommt, das Warten darauf, dass er trocknet, das Blasen, damit es schneller geht, wie sich das Bild abzeichnet, das nie ganz scharf wird, sondern immer vorher aufhört: blass, gelbstichig, flaschengrün; die Gesichter immer krank, immer mitgenommen.
    Ich schaue mir einen Schnappschuss von meinem Geburtstag vor zwei Jahren an. Da ist Chiri, da ist Gugliotta, da ist D’Avenia, in einem matten nachmittäglichen Licht. Auch sie matt. Da bin ich, die Nase kraus gezogen, man sieht auch den Kopf der Schnur. Da ist die Torte mit Erdbeeren und Sahne, die weiß-blaue Tüte Acqua Fabia, da sind die roten Plastikbecher, die Bildchen an der Wand. Unsere braunen Pullis, unsere elenden Nickis, die Hörner hinter dem Kopf, die Geste von Fonzie mit dem Daumen, das Victory-Zeichen, Mittel- und Zeigefinger gestreckt. Da ist das Lächeln, der Flicken am Ellbogen von Gugliottas Pullover, der sich um D’Avenias Hals legt, D’Avenia, der nach Luft schnappt und lacht - die Augen rot, die Pupillen glühend.
    Auf diesem Polaroid sind wir alle ironisch. Mir tut Ironie weh. Ich hasse sie sogar. Nicht nur ich, auch Scarmiglia und Bocca tun das. Denn es gibt immer mehr davon, zu viel, von der neuen italienischen Ironie, die auf allen Gesichtern glänzt, in allen Sätzen, die jeden Tag gegen die Ideologie kämpft, ihren Kopf verschlingt, in
wenigen Jahren wird von der Ideologie nichts mehr übrig sein, die Ironie, unsere einzige Rettung und unser Elend, unsere Zwangsjacke, und wir alle ironisch-zynisch gleichgestimmt, ernüchtert, in vollkommener Voraussicht der Sprengkraft des Witzes, des besten Timings, der plötzlichen, die Anspielung mildernden Abschwächung, immer beteiligt und abwesend, voller Schärfe und korrupt: resigniert.
    Also zerkratze ich mit einer Spitze des Stacheldrahts Chiri, ich zerkratze Gugliotta, zerkratze D’Avenia, zerkratze mich und zerkratze die Schnur, durchsteche die Augen und ziehe die Münder lang. Denn ich bin ein ideologischer Junge, konzentriert und stark, ein nicht-ironischer Junge, antiironisch, unempfindlich. Ein Nicht-Junge.
    Ich sehe nach, wie spät es ist, stecke die kleinen Stücke Stacheldraht in die Jackentasche, gehe aus dem Haus, die Via Sciuti hinunter bis zur Kreuzung mit der Via Principe di Paternò, dann weiter immer geradeaus und schließlich nach rechts in den Viale Piemonte. Als ich die Villa Sperlinga erreiche, sind viele Leute dort. Es ist noch früh, ich beschließe, zwischen den schmalen Sandwegen, den gelben Beeten, den Teichen, mächtigen Palmen und Mastixsträuchern zu bleiben. Es gibt auch ein Karussell ohne Musik. Als kleiner Junge fuhr ich dort, gekrümmt auf einem graublauen Dumbo hockend, im Kreis und schwitzte Taumel und Angst, Albträume und Erregung aus. In der radikalen Stille des Sonntagnachmittags, während die Schnur und der Stein mit Verdauen beschäftigt waren und mir zuschauten.
    Auch in diesem Moment, da der Karussellmann im Inneren seines Verschlags sitzt, das Geld nimmt und dafür Plastikchips ausgibt, sind auf dem Karussell, das sich träge rumpelnd dreht, dreijährige Kinder, eingemummt in ihre Mäntel, rote Kapuzenmützen auf den Köpfen; sie stellen sich ein bisschen an, heben vergebens die Arme, fahren dann fügsam im Kreis.
    In der Villa Sperlinga kann man für fünfhundert Lire auf einem gelb gefleckten Pony mit zerfranster Mähne reiten. Mühsam schleppt es sich durch den Staub, an einem Seil geführt von zwei
Jungen, die Dialekt sprechen, schüttelt es den Kopf und stößt ein kehliges Wiehern aus. Es ist ein heroinsüchtiges Pony, denn in der Villa Sperlinga haben die Bäume überall Hohlräume, im Stamm und zwischen den Wurzeln, und in den Hohlräumen sind Beutel mit Heroin versteckt. In den Arbeitspausen, wenn die Jungen es losbinden, damit es weiden kann, und eine Zigarette rauchen gehen, nähert es sich einem Baum, reibt sich mit dem Rücken am Stamm, riecht einen
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