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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
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dann wieder von ihm gelöst, die Finger, die sachte die Wange berühren, die große Brille mit dem schwarzen Gestell.
    Als er das Zimmer verlassen hat, entkleide ich mich, ziehe meinen hellblauen abgetragenen Schlafanzug an, schlüpfe unter die Decke und lösche ebenfalls das Licht auf dem Nachttisch.
    Mir ist warm, ich schiebe Laken und Decke weg bis ans Fußende vom Bett, ziehe Hose und Unterhose zu den Knöcheln hinunter, rolle das Oberteil zum Hals hoch, lasse die Kühle an meine Haut.
    Im Dunkeln, in der Stille, die nur von dem fast nicht wahrnehmbaren Atmen des Lappens durchdrungen wird, spanne ich die Kiefer an, lasse die Kehle erstarren, treibe den Krampf in den Brustkorb und den Unterleib, löse die Arme von den Seiten und drehe die Handflächen nach oben, winkle die Beine mit den Knien nach außen an, spüre den Hunger nach Luft, ich bin verkrüppelt und angestochen: Wie in jeder Nacht seit ein paar Wochen spiele ich die mythische Infektion, probe, simuliere und stelle mir vor, wie der Tetanus in mir Gestalt annimmt.
    Dann sinke ich in Schlaf, noch ganz am Anfang und völlig erschöpft.

Der Gott der Infektionen
    7. Februar 1978
    Vor zwei Monaten, im Dezember, war ich auf dem Land. Außerhalb von Palermo, an der Straße, die nach Messina führt. Ich war mit der Schnur, dem Stein und dem Lappen da. Wir waren mit dem weißen Fiat 127 rausgefahren. Der Stein musste sich Grundstücke für seine Arbeit anschauen. Aus dem Auto ausgestiegen, bohrte ich mit der Spitze meiner Turnschuhe ein paar Löcher in die weiche, braune Erde, dann hob ich den Blick: Dreißig Meter entfernt war der Stacheldrahtzaun. Er trennte ein Feld vom nächsten. Er stand aufrecht, war horizontal gespannt, gehalten von Pflöcken aus grauem Holz, ungefähr einen Meter über der Erde. Schwarz, unterbrochen von den Knoten mit den Stacheln, wie eine fortlaufende, enge Schrift. Ich ging hin und berührte ihn: Er war hart, düster. Der Wind brachte ihn zum Schwingen. Zwischen den Feldern, an einem Pfosten, lagen kleine, vom Rost zerfressene Stücke; ich nahm mir zwei davon: das eine zusammengedreht, das andere leicht gebogen. Ich schlug sie gegeneinander, damit die Erde abfiel. Sie waren wunderschön. Rötlich, blutig. Ich wandte mich um und sah in der Ferne den Stein, der mit der Schnur sprach, der Lappen lehnte am Auto und las einen Comic. Zart und knotig waren die beiden Stücke. Ich versteckte sie in der Jackentasche und kehrte um.
    Im Auto dachte ich an Tetanus, den Gott der Infektionen, an die Angst vor Tetanus, an die Schnur, die mir sagt, ich solle nichts anfassen, nicht zu nah drangehen, wegbleiben, Abstand halten; die mich streng anschaut, wenn ich einen Hund streichle, weil er mich beißen wird, und in jedem Hund ist die Tollwut, der Schaum
und das Irresein, wie in Eisen, zerbröckelt zu Körnchen aus Rost, das psychopathische Bakterium, der Mikroorganismus, der uns hasst, das Monster, der Zerstörer, und Eisen ist überall, Rost verschlingt die Dinge und die Körper, Rost ist im Besteck und im Fleisch, das wir essen, er gelangt in unseren Mund und zersetzt uns von innen, im Speichel und im Magen, erfüllt uns, wächst in uns, breitet sich in unserem Körper aus.
    Mit der Wange am Fenster und der Hand in der Tasche presste ich mir einen Stachel in die Handfläche, bis es wehtat; dann verringerte ich den Druck, zog den Reißverschluss der Tasche wieder zu und richtete meinen Blick auf die Lichter des Abends. Später hörte ich mit dem Kopf im Nimbus zu, wie der Stein las. Als er gegangen war, löschte ich das Licht auf dem Nachttisch, in dem ich ganz hinten die beiden Stücke Stacheldraht versteckt hatte, wartete, bis der Lappen einschlief, zog die Hosen runter, schob das Oberteil hoch, und, halb nackt, im Dunkeln, setzte ich zum ersten Mal die Krämpfe in Szene, die Sehnsucht nach der Infektion.
     
    Am Morgen des 7. Februar fällt der Unterricht aus, weil Karneval ist. Ich bleibe zu Hause und bin unruhig. Weil es noch früh ist und ich auf den Nachmittag und das Auflodern des Abends warte. Ich verliere ein wenig Zeit mit Ahnungen, dann verlasse ich das Haus, gehe die Via Sciuti in Richtung der Via Notarbartolo hinunter, doch Laufen genügt nicht, das brennende Gefühl wie von Nesseln in meinem Bauch wird nicht besser.
    Hin und wieder, besonders im Sommer, hat die Schnur Nesselsucht. Sie leidet unter Nesselsucht, doch sie genießt sie auch. Sie schwelgt in der Nesselsucht. Sie bekommt überall große rote Flecke, auf den Armen und auf
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