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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
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Geheimnis, Schatten, Chaos und Verschmelzung, Magma, Nahrung, Asche.
    Der Körper des kreolischen Mädchens ist rot und schwarz, voller Löwen und Tiger, voller nächtlicher Geräusche des Waldes, Rascheln, Knistern, Tropfen. (Ich betrachte sie von der Schwelle aus, und über uns sind Glühbirnen; unten Schatten, der Fußboden ist grün.) Tief innen in ihrem Körper ist eine geordnete Stille,
sauber, ohne Verkrustungen, Flecken oder Schleim; eine präsente, bewegliche, süße und ungeheuer zarte Stille. (Sie sieht eine Fee mit aufgeschwemmtem Gesicht an, hört zu, was sie sagt; sie trägt - ich weiß nicht, was sie trägt, sie trägt kein Karnevalskostüm: sie ist rot und schwarz.) Bisweilen kommt aus dieser Stille ein Lachen, nie ein Wort, mit einem schönen, freudigen Atmen. (Die aufgeschwemmte kleine Fee hat aufgehört zu reden, und sie lacht jetzt, und ihr Lachen möchte ich Triumph nennen; die Hausherrin, eine verbitterte Frau, die auf ihrem Kleid eine Anstecknadel in Form eines Efeublatts trägt, sieht mich in der Tür stehen und fragt mich irgendetwas, ich antworte: ein wenig Wasser.) Ihr Haar ist lebendig. Es sind Dämonen. (Die Hausherrin reicht mir ein Glas, wie ihr Sohn zuvor; es ist ein geschliffenes Glas, warm von der Spülmaschine, gereinigt, ich kann daraus trinken.) Das kreolische Mädchen spricht nie und hört aufmerksam zu, der aufgeschwemmten kleinen Fee oder einer anderen, die neu dazugekommen ist: Sie schaut immer in die Augen, hört mit den Augen, den Kopf ein wenig geneigt. (Die Hausherrin gießt mir Wasser ein, ich führe das Glas an meinen Mund und trinke langsam, berühre den Rand des Glases mit der Nase: Das Wasser prickelt.) Sie macht eine Geste mit der rechten Hand, die eher groß als klein ist und dunkel ist und auf dem Rücken einen hellen Fleck in Form von irgendetwas hat, und ich nehme die Geste wahr, die sanft und stolz ist, und den hellen Fleck, der schön ist und mir Angst macht.
    Während ich trinke, schaue ich über beide Seiten des Halbkreises meines Glases und denke zurück: an die Zeit vor ein paar Monaten, Schulbeginn, als wir draußen, im Atrium, darauf warteten, nach Hause zu gehen, und das Licht von Palermo so transparent war, dass man das fortschreitende Herausbilden der Struktur sehen konnte, die korpuskulare Materie, die sich aggregierte und durch die Beschleunigung der Gravitation auf uns niederging, ein Teilchenschnee mitten im September, und ich zwischen all den anderen das kreolische Mädchen betrachtete, das allein auf einer Stufe saß, die Bücher neben sich und ein aufgeschlagenes Heft auf den Knien, mit der rechten Hand gehalten, der Zeigefinger der
linken der Schrift folgend, und dann, eines Einfalls wegen, auf dem Schnitt der Seiten Ruhe findend.
    In diesem Augenblick, vielleicht gerade von dem hellen Fleck angezogen, ging eine Stechmücke, die vorher im Licht geschwebt war, im Gleitflug auf die ruhige Hand nieder, ohne dass das kreolische Mädchen es bemerkt hätte, und begann, an der blassen Haut zu saugen. Ich näherte mich staunend und alarmiert, das kreolische Mädchen schaute zu mir hoch, die Mücke löste sich von der Hand, und mit einer entschlossenen Bewegung fing ich sie im Flug, mit der rechten Hand, ohne zuzudrücken. Ich sagte nichts, sah das Mädchen an, wandte mich ab, entfernte mich und gab acht, die Mücke in der Faust nicht zu zerquetschen.
    Den Nachhauseweg legte ich mit vom Körper weggehaltenem Arm und einer Bewegung in der geschlossenen Hand zurück. In meinem Zimmer öffnete ich die Hand halb, presste die Finger weiter aneinander und hielt sie mit der anderen Hand zu: Die Bewegung war noch da, die Mücke am Leben. Also nahm ich, immer mit der linken Hand, eine durchsichtige Plastikdose und manövrierte die Mücke langsam hinein. Dann setzte ich mich hin und schaute sie an.
    Sie war dunkelgelb, hatte ihre sechs Beinchen auf den Plastikboden gestützt, die Flügel geöffnet und die Schwingkölbchen geschlossen, den Kopf zu mir gehoben, das Stechborstenbündel war unbeweglich. Ratlosigkeit und Groll. Sie musste sich aus einer in irgendeinem grünen Blumenuntersatz verlorenen Larve entwickelt haben, in dem Gießwasser, das die Pflanze durchflossen hatte, etwa einen großen Ficus, wie sie auf den Balkonen der palermischen Palazzi im Viertel Libertà in die Höhe ragen. Nachdem sie sich von Plankton ernährt hatte, war sie weggeflogen, hatte sich im Flug gepaart, promiskuitiv, in einem Schwarm von Männchen, und schließlich menschliches Blut
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