Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
Vom Netzwerk:
möchte den Kopf gerade halten
und sehen, wer mich sieht, nicht diese Anstecknadel in Form eines Efeublatts, immer größer, immer größer, aber was soll’s, ich beuge den Kopf zurück, und während das Licht der Deckenlampe mir in die Augen scheint, denke ich, dass der ideologische Junge, der Junge mit dem Nimbus, der konzentrierte und starke Junge, der Antiironische, der Unempfindliche, der Nicht-Junge, also ich, jetzt hier ist und einen feuchten Lappen auf dem Mund hat, die Blicke auf ihn gerichtet, die Verwirrung - und so sollte es nicht sein, also halte ich den Kopf wieder gerade und verlasse im Laufschritt die Küche, während die Hausherrin hinter mir herruft, gehe in den Flur, finde meine Jacke, krame in der Tasche und kehre zurück. Im Vorbeigehen sehe ich Scarmiglia immer noch auf dem Boden vor dem Fernseher sitzen, und auf dem Bildschirm ist Gelb und Rot und Blau, da sind ein barfüßiges Mädchen und weiße Ziegen, eine Schaukel und Musik, doch das Mädchen ist nicht kreolisch, sondern rosa, also bedeutungslos. Ich sehe auch, aus den Augenwinkeln, die Fassungslosigkeit und den Kummer der kleinen Feen, die um die Trümmer der Sterne herumstehen, mit offenen Mündern und kurz davor, in Tränen auszubrechen, Zorro, der vor dem Stuhl hockt und mit Ermittlerblick einen zerbrochenen Stab untersucht, einen als Küken verkleideten Jungen mit einem grellgelben Federbusch auf dem Kopf, der die schiere Verzweiflung in den Augen hat.
    Als ich in die Küche komme, sitzt das kreolische Mädchen auf einem Stuhl am Tisch. Sie ist so schön - das Schwarz ihrer Haare gegen die hellen Kacheln, die rötliche Haut und eine plötzliche, verzehrende Blässe -, und ich möchte es ihr erklären, die Worte finden, mir das Glas und die Sätze aus dem Mund ziehen, eine Ausnahme von meiner Distanzregel machen und sie zum ersten Mal sprechen hören, ihre Stimme hören, nachdem ich sie nach ihrem Namen gefragt habe, sie fragen, wie alt sie ist, aber ich sehe sie nur sehnsüchtig an, bin still und verschiebe es.
    Niemand um uns herum regt sich, und so halte ich ihr wortlos und wie ein herausschnellendes Klappmesser die beiden Stücke Stacheldraht hin, biete sie ihr dar wie einen zerrupften Strauß Blumen.
Sie fixiert mich, und ich schaue mich mit ihren Augen an: Die beiden stachligen Stiele, die aus der angespannten Faust erblühen und sich dürr und hochmütig vor meinem Gesicht abzeichnen, noch ein bisschen feuchtes Rot auf den Lippen, die Augen fiebrig, und da sind Vertrauen und Aufregung - und dann bewegt sich ihre braune Hand mit dem hellen Fleck auf dem Rücken, nähert sich meiner Hand und zieht mit zwei Fingern das gebogene Stück aus meiner sich öffnenden Faust, und in diesem Augenblick, während es draußen wie drinnen dunkel wird, brechen bei mir das Leben und das Glück im Herzen ein.

Morgengrauen
    24./25./26. März 1978
    Am Abend des 24. März nehmen wir den Zug nach Rom. Das mineralische Tier. Die Stadt der Toten. In zwei Tagen ist Ostern, wir verbringen das Wochenende dort. Die Fahrt dauert die ganze Nacht, wir kommen morgen früh an. Ich fühle mich zynisch, erregt, berühre die Narbe mit der Zunge.
    Das Abteil ist für sechs, aber wir sind allein darin. Über den Sitzen, gemalt auf kleinen rechteckigen Glasscheiben, Bilder Italiens. Landschaften und baufällige Mauern: weitere Ansichtskarten, weitere nationale Mystifikationen. Irgendjemand hat mit Filzstift darauf gezeichnet, hat Genitalien auf den Mauern und in den Landschaften untergebracht.
    Ich schlafe in der Koje oben, neben der Gepäckablage. Ich verliebe mich in das gelbe Licht in einer Nische am Kopfende vom Bett, das man mit einem kleinen Hebel in Form einer schmalen Birne anmacht; der kleine Hebel ist weiß; wenn ich gegen die Spitze drücke, bietet er Widerstand: Dann klickt es deutlich.
    Während der Zug von West nach Ost fährt, das tiefschwarze Meer zur Linken, lese ich einen Alan Ford; Bob Rock mag ich gerne, Conte Oliver beunruhigt mich. Dann steht die Schnur auf, zieht den Vorhang halb zu, sagt irgendetwas, und wir löschen das Licht. Ich warte zehn Minuten, das Atmen wird regelmäßig; ich drehe mich auf den Bauch, knipse das Licht wieder an und verberge es sofort mit meinen Händen. Ich bleibe kurz so, das Licht wird innerhalb der Höhle meiner Finger orange. Ich betrachte die Handrücken, die Form der Fingerglieder, die dunkelrosa abgesetzten Nägel an den Fingerspitzen; untersuche auch die Knochen,
fühle mich unförmig. Dann lese ich ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher