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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib
Autoren: Claudia Weiss
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Prolog
    W er wird dich lieben, meine kleine Anna, wenn ich nicht mehr bei dir bin? Wer wird dich halten?« Die im Kindbett
     fiebernde Mutter streichelte mit sanftem Druck die Wangen des zitternden Kindes. Langsam zog der erste Vollmond nach Ostern im Jahr des Herrn 1682 am
     kleinen Fenster der Garnisonswohnung in Verden vorbei. Als sein Licht von der Sterbenden wich, verließ sie auch das Leben.
    Bis der Morgen graute, hockte das Kind mit leerem Blick und schreiendem Herzen vor seiner toten Mutter und dem kleinen Bruder, der noch nicht einmal das Mondlicht hatte sehen können, so schnell hatte Gott ihn zurückbefohlen. Mit dem ersten Hahnenschrei kamen der Vater und Magda, die drei Jahre ältere Schwester, in die Kammer und traten zu dem starren kleinen Mädchen.
    »Sie ist von uns gegangen. Ilsabe, warum hast du mich nicht gerufen? Du solltest doch wachen!«, schalt der Vater die Kleine, schob sie zur Seite und sank weinend vor Frau und Sohn auf die Knie.
    Nie wieder rief jemand das magere Kind bei seinem ersten Namen, den es von der Mutter hatte. Die Erinnerung an die warmherzige, gütige und fröhliche Frau war für den Vater und die ältere Schwester zu schmerzhaft mit ihm verbunden, als dass sie das kleine Kind damit schmücken wollten. Nie wieder wurdedas Mädchen so geliebt wie von seiner Mutter, deren Lebensspanne doch nicht gereicht hatte, um es auf sicheren Bahnen ins Leben zu leiten.
    Ilsabe Bunk wurde mit dem Tod der Mutter schroff und verschlossen. Sie fühlte sich verlassen und einsam und wusste sich in ihrem Schmerz nicht anders zu helfen, als sich tief in sich selbst zurückzuziehen. Ihr Vater, Kavalleriesoldat in Diensten des Herzogs von Lüneburg, litt sehr unter dem Verlust seiner Frau und des Neugeborenen. Vielleicht noch mehr darunter, dass er sich immer einen Sohn gewünscht hatte, der wie er die Soldatenlaufbahn hätte einschlagen sollen. Aber eine neue Frau nahm er nicht. Er sei zu alt, brummte er nur mürrisch, wenn ihm die Leute eine neue Verbindung nahelegten. Es gelang ihm nicht, seinen Töchtern die Mutter zu ersetzen und ihnen die Liebe und Zärtlichkeit zu geben, nach der sie sich sehnten.
    Auch um die Erziehung der Mädchen kümmerte er sich wenig, sie wuchsen auf im Milieu der Garnison, hatten Kontakt zu anderen Soldatenfamilien und den Bauern der nahen Umgebung. Magda, Ilsabes größere Schwester, war das genaue Gegenteil der Kleinen. Ein aufgeschlossenes, fröhliches Mädchen, das allzeit versuchte, den Menschen zu gefallen. Bei anderen Familien half sie gern in der Küche und beobachtete genau Verhalten und Verrichtungen, die eine gute Hausmutter auszeichneten. Auch im eigenen Heim übernahm sie bald die Pflichten der Mutter. In der Sonntagsschule lernte sie ein wenig biblische Geschichte sowie lesen und schreiben. So versuchte sie dem Vater, wo es ging, zu helfen.
    Ilsabe bemühte sich um die Aufmerksamkeit und Zuneigung ihres Vaters, indem sie alles imitierte, was mit dem rauen Ton und militärischen Gepränge seiner Kameraden einherging. Diese saßen häufig abends bei ihnen am Tisch, tranken Bier und erzählten von all den geschlagenen Schlachten. Ilsabe klebte an ihren Lippen und lernte ihre wilden Sprüche und Geschichten auswendig. Am nächsten war sie ihrem Vater, wenn er von Feldlagern, Reiterjagden und Duellen erzählte und Ilsabe auf seinem Schoß saß wie ein kleiner Husar und ihm Auszüge aus dem Exerzierreglement aufsagte. Vor der Zucht des Küsters hingegen wusste sich das Mädchen stets zu drücken. Lesen und schreiben lernte es nie. So wie Magda ihm die Frau, so suchte Ilsabe ihrem Vater den Sohn zu ersetzen.
    Obwohl Magda mit ihrem frohen Gemüt fast jedes Herz gewann, blieb ihr das ihrer kleinen Schwester verschlossen. Ilsabe war ihr fremd wie ein Pilz in einem sonnigen Blumenbeet. Zwar bemühte sie sich redlich, Ilsabe zu versorgen, doch erwärmte sich auch ihr Herz nicht für das unzugängliche, einsame Kind.
    Ilsabe wuchs zu einem großen, hageren Mädchen heran. Schon lange hatte sie niemand mehr in den Arm genommen, ihr Trost gespendet oder sie einfach nur liebevoll gehalten. Niemand hatte ihr geholfen, den mühseligen Wandel vom Kind zur Frau zu meistern. Ihren linkischen Bewegungen war anzusehen, dass sie sich in Rock und Schürze kaum zu bewegen wusste. Immer waren ihre kräftigen Schritte größer, als der Rocksaum es zuließ, und die Arme schwangen in ausladenden Bewegungen neben dem Körper. Die Jungen trieben üble Scherze mit ihr, aber Ilsabe, die
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