Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
und begegnete einem Blick voll von Erschütterung.
    Gerold brauchte kein Wort zu sagen.
    Ich erhob mich und ging sehr langsam an ihm vorbei in den Gang. Dort stieß ich sacht die Tür zu Gerlindis’ Kammer auf und betrat den menschenleeren Raum. Vor dem Spiegel setzte ich mich nieder.
    Graues Licht. Stille.
    Â 
    Irgendwann sagte Gerold: »Sie ist in die Falle getappt.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich weiß, wie schwer es für dich ist.«
    Das wusste er selbstverständlich nicht. Er war und ist von diesen Ereignissen zwar auch betroffen, aber in ganz anderer Weise als ich. »Hat sie - hat sie gestanden?«
    Â»Ja. Es blieb ihr im Grunde nichts anderes übrig. Du hattest recht, Ermengard, die Morde spielten sich ungefähr genauso ab, wie du gesagt hast.«
    Und meine größte Hoffnung während der vergangenen Nacht war es gewesen, dass ich mich geirrt haben könnte.
    Â»Wo - wo ist sie?«, fragte ich.
    Â»Sie ist unten in der Wohnhalle. Eine Wache passt auf sie auf.«
    Â»Und was ist mit...? Hast du auch schon...?«
    Â»Noch nicht. Das mache ich als Nächstes.« Er ließ eine Weile verstreichen, bevor er fragte: »Möchtest du mit ihr sprechen, bevor ich sie fortbringen lasse?«
    Fortbringen. Das gab mir einen Stich ins Herz.
    Ich nickte.
    Â»Bist du dir sicher, Ermengard?«
    Ich war mir keineswegs sicher. Ich sagte: »Ja.«
    Â»Ich schicke sie zu dir herauf.«
    Â 
    Ich blieb vor dem Spiegel sitzen, im grauen Licht jenes Raumes, der Gerlindis gehörte und den sie zum letzten Mal betreten würde.
    Das war meine Strafe, dachte ich, für das, was ich getan hatte. Für mein Verbrechen.
    Â 
    Graues Licht. Stille. Ich löste meine Haare, betrachtete mich im Spiegel und sah, wie sich von hinten eine Gestalt näherte, deren Gesicht schließlich neben meinem im Spiegel auftauchte. Ihre Hände legten sich auf die Stuhllehne. Ich sah sie über den Umweg des polierten Metalls an, schloss die Augen, öffnete sie wieder, und da stand sie noch immer: Gerlindis, ausdruckslos, so vertraut und zugleich so fremd, wie ich mir selbst war.
    Â»Wie bist du dahintergekommen?«, fragte sie.
    Das also war das, was sie zu all dem zu sagen hatte: Wie bist du dahintergekommen. Keine Erklärung, keine Entschuldigung, keine Träne. Es war ihr nicht peinlich, mit mir zusammenzutreffen. Wo Scham und Liebe hätte sein sollen,
schlug mir bloß Neugier entgegen. Ich stellte mir die Frage, ob sie mich je geliebt hat? Auch nur einen Moment lang?
    Â»Der Brief hat dich verraten«, antwortete ich, wobei ich glaubte, mir versage jeden Moment die Stimme. »Es kam mir gleich seltsam vor, dass du einem des Lesens Unkundigen einen Brief schreibst, doch ich sagte mir, dass du deinen Gefühlen nicht anders Ausdruck verleihen konntest und dass du Grifo auf die Sprünge helfen wolltest. Trotzdem störte mich etwas an dem Inhalt des Briefes. Doch was mich störte, hatte nichts mit dem zu tun, was in dem Brief stand, sondern damit, was nicht in dem Brief stand.«
    Gerlindis streckte den Arm nach einem großen Kamm aus, der vor dem Spiegel lag, und fing an, ihn mit bedachtsamen Bewegungen wieder und wieder durch mein Haar zu führen.
    Ich sagte: »Grifo war wenige Tage vorher vom Pferd gestürzt. Er ging auf Krücken. Sein Bruder Hugo war ums Leben gekommen und Grifo war von Arnulf des Mordes beschuldigt worden. All das war zwischen deinem letzten Gespräch mit Grifo und dem Brief passiert, aber in dem Brief findet sich kein Wort, noch nicht einmal eine Andeutung darüber. Kein: >Ich glaube keinen Augenblick, dass du deinen Bruder getötet hast<. Kein: >Ich stehe in dieser schweren Zeit fest zu dir<. Nicht der geringste Bezug zu seinem Unfall findet sich in den Zeilen. Stattdessen ein Lob für deinen Onkel Arnulf, den du als >gerecht< bezeichnest, wohingegen er just in jenen Tagen Grifo arretiert hatte. Das machte mich stutzig. Und bald darauf kam mir ein Gedanke. Was, wenn dieser Brief schon vor Monaten geschrieben worden war? Und was, wenn nicht Grifo, sondern ein anderer der Empfänger gewesen war, nämlich Hugo.«
    Â»Ein tollkühner Gedanke.«

    Â»Ja, das stimmt. Ich glaube, die Umstände der Briefübergabe brachten mich darauf. Du hast das Bankett verlassen, ohne Grifo einen Hinweis zu geben, wo du auf ihn wartest. Du gabst ihm keinerlei Zeichen, weil du nicht wegen Grifo fortgegangen bist,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher