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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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musste, oder wie ein Gebet. Ja, vielleicht war es am ehesten das. Vielleicht ist Schreiben die ungewöhnlichste Fürbitte an den Schöpfer.
    Â 
    Unten höre ich Geräusche. Jemand betritt das Haus.
    Eine achtzehn Stunden alte Erinnerung: Gerold presst mich an die Wand und sagt:
    Â 
    Â»Keine Sorge, das habe ich mit der Bedingung nicht gemeint.«
    Sein und mein Atem vermischen sich, unsere Augen sehen nur einander, sonst nichts.
    Â»Wenn ich dem König das über Teodrada sage«, fährt er fort, »und wenn ich ihm sage, dass Arnulf eines natürlichen Todes starb, dann bleibt für ihn immer noch die Frage des Todes von Hugo und Mathilda offen. Das habe ich vorhin gemeint, als ich sagte, Karl wird mir
unter Umständen glauben, dass du nichts mit dem Tod deines Mannes zu tun hast. Wenn ich den Mörder von Hugo und Mathilda zu fassen kriege, besteht für dich keine Gefahr mehr, Ermengard. Davon abgesehen will auch ich wissen, wer den Mann umgebracht hat, der ein Vierteljahrhundert lang mein Sohn war. Ich habe Hugo so viele Jahre geliebt, dass es unwichtig ist, ob ich ihn zeugte oder nicht. Ich habe ihm das Reiten beigebracht und das Bogenschießen und das Pirschen im Wald, und als ich erfuhr, dass er nicht mein Sohn ist, habe ich nicht aufgehört, ihn zu lehren, habe ihm den Umgang mit dem Schwert beigebracht, und ich habe ihm etwas über Frauen erzählt, über den König und die Welt. Ich saß mit ihm an zahllosen Lagerfeuern, stapfte mit ihm durch Dreck, trank mit ihm, betrank mich mit ihm, aß und lachte mit ihm, ärgerte mich über ihn. Verdammt, ich habe ihn geliebt, und nur weil dein Schwachkopf von Gemahl sich aus Ratlosigkeit zu der Meinung verstieg, Mathilda sei die Täterin, werde ich es nicht auf sich beruhen lassen. Wir beide wissen, dass Mathilda nicht die Täterin war, denn falls sie es gewesen wäre, hätte sie sich nicht selbst umgebracht. Das passt nicht zu ihr.«
    Â»Ich kann dir nicht helfen.«
    Â»Du lügst, Ermengard. Du weißt etwas. Ich sehe es deinen Augen an. Mir machst du nichts vor. Was hast du herausgefunden?«
    Â»Gar nichts.« Ich versuche vergeblich, mich aus Gerolds Griff zu winden.
    Â»Du hast einen Verdacht.«
    Â»Nein.«
    Â»Lügnerin. Ich will es wissen. Für mich und für dich.«
    Â»Lass mich los.«

    Â»Ich lasse dich nicht los, bevor du mir nicht einen Namen nennst. Wer hat Hugo umgebracht? Und wie kriegen wir ihn? Was muss ich tun? Rede, Ermengard. Ich bestehe auf nichts, außer auf einem Namen.«
    Er tut mir weh. Seine Hände schnüren meine Handgelenke ab, seine Worte peinigen mich. Ich werfe den Kopf hin und her. Am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. Ich will nichts hören, will nicht reden. Aber Gerold ist erbarmungslos.
    Â»Also gut«, schreie ich ihn an, »lass mich los, und ich gebe dir, was du willst!«
    Kaum hat er seinen Griff gelockert, reiße ich mich los, stoße ihn zurück und eile zur Tür.
    Doch Gerold ist schneller und holt mich ein. Es gibt ein Gerangel, bei dem der rechte Ärmel meines Gewands bis zur Schulter abreißt.
    Gerold schleudert mich auf das Bett und wirft sich auf mich.
    Â»Den Namen, Ermengard. Sag ihn.«
    Ich sehe ihn an. Meine Stimme zittert. »Du willst ihn nicht wissen.«
    Â»O doch.«
    Â»Und ich sage dir, wenn du ihn hörst, wirst du dir wünschen, ich hätte ihn dir nie genannt.«
    Gerold schluckt, er bekommt Angst. Aber der Wille, die Wahrheit zu erfahren, ist stärker als die Angst - eine Eigenschaft, die Gerold mit nur wenigen Menschen teilt. Die meisten Menschen fliehen vor der Wahrheit. Im alten Rom waren der Göttin Veritas nur wenige Tempel geweiht.
    Â»Sag’s mir. Und sag mir, wie wir ihn oder sie drankriegen.«

    Ich versuche nachzudenken, aber es gelingt mir nicht. Mir ist elend zumute. Ich schließe die Augen, lege beide Hände auf meine Stirn und flüstere: »Geh zu Teodrada.«
    Wir führen ein längeres Gespräch. Bevor er geht, sagt Gerold noch: »Gott gebe, dass dein Verdacht stimmt, Ermengard. Ansonsten weiß ich nicht, ob ich dich retten kann.«
    Ich höre Schritte auf der Treppe, sie klingen schwer und müde. An dieser Stelle beende ich meinen Bericht.

58
    NACHTRAG
    Â 
    Die Schritte auf der Treppe waren Gerolds, wie erwartet. Er kam in mein Gemach, wo ich gerade die Feder niedergelegt hatte. Mein Blick voll von Angst empfing ihn -
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