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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Autoren: Manesse-Verlag
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befriedigen und mir zu ermöglichen, den Weg zu Fuß fortzusetzen, muss ich hier eine elende Mähre verkaufen, die mir bislang als Reittier gedient hat.»
    Obwohl er diese Erzählung sogar einigermaßen ruhig vorzubringen schien, rannen ihm gegen Ende doch einige Tränen herab. Diese Geschichte mutete mich höchst außergewöhnlich und höchst bewegend an. «Ich dringe nicht in Sie», sagte ich, «mir das Geheimnis Ihrer Angelegenheiten zu offenbaren, doch wenn ich Ihnen bei irgendetwas von Nutzen sein kann, dann will ich Ihnen gern zu Diensten sein.»
    «Ach», antwortete er, «ich sehe nicht den geringsten Hoffnungsschimmer. Ich muss mich der ganzen Härte meines Geschicks fügen. Ich werde nach Amerika fahren. Dort werde ich wenigstens mit meiner Liebe in Freiheit leben können. Ich habe an einen meiner Freunde geschrieben, der mir in Havre-de-Grâce Unterstützung zukommen lassen wird. Ich bin nur in Verlegenheit, wie ich dorthin kommen soll und wie ich diesem armen Geschöpf», dabei blickte er traurig zu seiner Geliebten hin, «den Weg dorthin ein wenig erleichtern kann.»
    «Nun», sagte ich, «ich werde Ihnen aus dieser Verlegenheit helfen. Hier ist etwas Geld. Bitte, nehmen Sie es an. Es ist mir unangenehm, dass ich Ihnen nicht auf andere Weise helfen kann.»
    Ich gab ihm vier Louisdor, ohne dass die Wachsoldaten es bemerkten, denn ich meinte wohl, dass sie ihm, wenn sie von dieser Summe wüssten, ihr Entgegenkommen noch teurer verkaufen würden. Ich kam sogar auf den Gedanken, mit ihnen zu handeln, um für den jungen Liebhaber die Gunst zu erwirken, dass er bis Havre jederzeit mit seiner Geliebten sprechen dürfe. Ich winkte den Hauptmann heran und machte ihm diesen Vorschlag. Trotz seiner Dreistigkeit schien er beschämt. «Es ist nicht so, Monsieur», antwortete er mit verlegener Miene, «dass wir uns weigern, ihn mit diesem Mädchen sprechen zu lassen, aber er will ohne Unterlass bei ihr sein, und das macht uns Umstände; es ist nur recht und billig, dass er für diese Umstände zahlt.»
    «Dann überlegen wir doch», antwortete ich, «wie viel nötig wäre, damit diese nicht als solche empfunden werden.»
    Er hatte die Stirn, zwei Louisdor von mir zu verlangen. Ich gab sie ihm auf der Stelle. «Doch gebe er acht», sagte ich, «dass ihm keine Gaunerei unterläuft; denn ich werde diesem jungen Mann meine Adresse geben, damit er mir davon berichten kann, und zähle er nur darauf, dass es in meiner Macht steht, ihn dafür bestrafen zu lassen.»
    Die Angelegenheit kostete mich sechs Louisdor. Der Anstand und die lebhafte Dankbarkeit, mit denen sich der junge Unbekannte mir erkenntlich zeigte, überzeugten mich endgültig, dass er von höherer Herkunft war und meine Großzügigkeit verdiente. Ehe ich hinausging, sagte ich ein paar Worte zu seiner Geliebten. Sie antwortete mit solch liebreichem und bezauberndem Anstand, dass ich beim Hinausgehen nicht umhin konnte, tausenderlei Reflexionen über das rätselhafte Wesen der Frauen anzustellen.
    Nach der Rückkehr in meine Abgeschiedenheit hörte ich nichts mehr über den Fortgang dieses Abenteuers. Es vergingen beinahe zwei Jahre, in deren Verlauf ich die ganze Angelegenheit vergaß, bis ich durch Zufall Gelegenheit bekam, die Umstände allesamt gründlich kennenzulernen.
    Aus London kommend gelangte ich in Begleitung meines Zöglings, des Marquis d e …, nach Calais. Wenn ich mich richtig erinnere, stiegen wir im «Lion d’Or» ab, wo wir aus bestimmten Gründen den ganzen Tag und die darauffolgende Nacht zubringen mussten. Als wir am Nachmittag die Straßen entlanggingen, glaubte ich, ebenjenen jungen Mann zu sehen, dessen Bekanntschaft ich in Pacy gemacht hatte. Er war sehr ärmlich gekleidet und viel bleicher als damals, da ich ihn zum ersten Mal sah. Über dem Arm trug er einen alten Mantelsack, war er doch gerade erst in der Stadt angekommen. Doch da er zu feine Gesichtszüge hatte, als dass man sich seiner nicht leicht entsinnen würde, erkannte ich ihn sogleich wieder. «Wir müssen diesen jungen Mann ansprechen», sagte ich zum Marquis.
    Seine Freude war über alle Maßen lebhaft, als auch er mich wiedererkannt hatte. «Ach, Monsieur!», rief er, während er mir die Hand küsste, «nun kann ich Ihnen nochmals meine unendliche Dankbarkeit ausdrücken!»
    Ich fragte ihn, woher er komme. Er antwortete, er sei mit dem Schiff von Havre-de-Grâce gekommen, wo er vor Kurzem aus Amerika angelangt sei. «Sie scheinen über wenig Geld zu verfügen», sagte
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