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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Autoren: Manesse-Verlag
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ihre Haarfarbe kennen: Maupassant etwa glaubte sie leibhaftig vor sich zu sehen, ihr verheißungsvolles Lächeln, ihren Mund, ihre Zähne, ihre Wimpern, ihre Bewegungen und Gesten; er meinte sogar, den «diskreten Duft ihres jugendfrischen Körpers unter ihren parfümierten Kleidern» zu riechen. Nichts von alledem findet sich bei Prévost, und schon gar keine erotische Szene. Aber die Fülle und die Intensität der Projektionen, die er hervorrief, sprechen Bände über seine literarische Kunstfertigkeit.
    Lange Zeit mochten sich Publikum und Forschung damit nicht zufriedengeben: Über Generationen hinweg wurde versucht, den autobiografischen Gehalt des Romans dingfest zu machen. So entdeckte man in den Registern der Bastille einen Eintrag über «Marie-Madeleine Chavigny, genannt Manon», eine junge Prostituierte, die 1719 verhaftet, in das berüchtigte Frauengefängnis Salpêtrière eingeliefert und «auf die Inseln» deportiert wurde. In ihr hätte man gern Prévosts unglückliche Jugendliebe gesehen, die ihn aus Enttäuschung zu den Benediktinern flüchten ließ. Und dann gibt es da noch die holländische Edelkurtisane Lenki Eckhardt, mit der er offenbar eine Zeit lang leidenschaftlich verbunden war und für die er sich hoffnungslos verschuldete. Die Vorstellung, der Abbé habe in seinem Meisterwerk eigene Erfahrungen verarbeitet, mag bis zu einem gewissen Grade zutreffen, aber inzwischen sind wir an die Ausbreitung seelischer und sonstiger Intimitäten derart gewöhnt, dass dieser Aspekt unerheblich geworden ist. Viel interessanter sind die ästhetischen Mittel, mit denen er die Erzählung von sich abrückt und so in der Schwebe hält, dass sie als «ein einziger Schrei des Herzens» (Flaubert) wahrgenommen werden kann, aber ebenso gut als gnadenlose Gesellschaftsanalyse, als Moraltraktat wie als Melodram, als Sittengemälde, psychologische Studie oder früher Thriller. Im Zentrum des intrikaten Gewebes aus Ambiguitäten und Ambivalenzen steht Manon, die Flammende, die unschuldig Verworfene, liebreizend Abgebrühte, deren Charakter sich nur mit einer Aneinanderreihung von Oxymora beschreiben lässt. Sprengt sie wirklich jede Form, indem sie sich so geschmeidig dem Zugriff entwindet und sämtliche Erwartungen enttäuscht, oder ist sie nicht vielmehr das Produkt eines besonders ausgeprägten und raffinierten Formwillens?
    Der Kometenschweif von Adaptionen, den sie hinter sich herzieht, enthüllt jedenfalls mehr über deren Urheber und die Vorlieben der jeweiligen Epoche als über Manon selbst. Im 19. Jahrhundert evozierte der Stoff eine Reihe musikalischer Deutungen, die alle schon im Titel verraten, dass dort, abweichend von der Vorlage, allein die weibliche Hauptfigur im Fokus steht – oder auch die persönliche Liebesaffäre, die der betreffende Komponist mit ihr hatte. Dass die erste ihr gewidmete Oper unter dem Titel The Maid of Artois 1836 von dem Iren Michael William Balfe geschrieben wurde, basierend wiederum auf dem 1830 uraufgeführten Ballett-Dreiakter Manon Lescaut von Jacques-Fromental Halévy und Eugène Scribe, ist heute weitgehend vergessen. Auch die Opernfassung von Daniel François Esprit Auber (1856), einst ein Welterfolg, konnte sich auf den Bühnen des 20. Jahrhunderts nicht behaupten. Fest im Repertoire etabliert haben sich Jules Massenets Oper Manon (1884) und, mehr noch, Giacomo Puccinis Manon Lescaut (1893). Erstere ließ den Schriftsteller Henri Troyat nicht zu Unrecht sticheln: «Das Textbuch hat das Buch getötet. Die Absicht des Autors liegt begraben unter Dekorationen aus Pappmachee und den Perücken des Tenors. Sein Held spricht nicht mehr, er singt. Seine Heldin leidet in Musik. Auf dem Platze des Abbé Prévost macht sich Massenet breit.» Dessen Rivale Puccini, der eingestand, sich in die Heldin verliebt zu haben, beschäftigte sieben Librettisten, um ihre tragisch-gefühlvolle Seite und das Erschütternde ihres Schicksals herauszustellen. Auf der Strecke blieb dabei die literarisch so ergiebige Dissonanz zwischen dem edlen Pathos der Liebesgeschichte und den immer schäbigeren Gaunereien, die sie dem männlichen Protagonisten abnötigt.
    Hans Werner Henzes Opernversion Boulevard Solitude aus dem Jahr1952 , eine sehr freie Bearbeitung des Stoffes als Parabel moderner Vereinsamung, die zur Abwechslung den unglücklichen Liebhaber ins Zentrum rückt, wird neuerdings wiederentdeckt. Doch wer erinnert sich noch an Carl Sternheims Bühnenstück Manon Lescaut (1921) oder an das
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