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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Autoren: Manesse-Verlag
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dass ich in einen engen Kerker gesperrt wurde. Man machte mir den Prozess, und da Manon verschwunden blieb, klagte man mich an, ich hätte mich ihrer in einem Anfall von Wut und Eifersucht entledigt. Ich erzählte rückhaltlos von meinen beklagenswerten Erlebnissen. Trotz des tiefen Schmerzes, in den mein Bericht Synnelet stürzte, besaß er gleichwohl so viel Großmut, auf meine Begnadigung zu dringen.
    Sie wurde ihm gewährt. Ich war so schwach, dass man mich aus dem Kerker in mein Bett bringen musste, an das ich drei Monate lang durch eine schwere Krankheit gefesselt blieb. Mein Hass auf das Leben mäßigte sich nicht. Ich beschwor ständig den Tod und weigerte mich lange Zeit, irgendeine Arznei einzunehmen.
    Doch nachdem der Himmel mich mit solcher Härte bestraft hatte, sorgte er nun dafür, dass mir aus meiner Unbill und seinen Züchtigungen Nutzen erwuchs. Er erleuchtete mich mit seiner Klarheit, die mich an Ideale gemahnte, wie sie meiner Geburt und meiner Erziehung würdig waren. Auf diese Veränderung, mit der sich allmählich wieder eine gewisse Gelassenheit in meiner Seele eingestellt hatte, folgte bald schon meine Genesung. Ich weihte mich ganz und gar den Eingebungen der Ehre, und ich ging weiterhin meiner kleinen Beschäftigung nach, während ich auf die Schiffe aus Frankreich wartete, die einmal im Jahr in diese Gegend Amerikas kommen. Ich war entschlossen, in meine Heimat zurückzukehren, um dort den Skandal meiner Lebensführung durch ein sittsames und geordnetes Dasein wiedergutzumachen. Synnelet hatte dafür Sorge getragen, dass der Leichnam meiner teuren Geliebten an eine geziemende Stätte überführt wurde.
    Es begab sich etwa sechs Wochen nach meiner Genesung, dass ich eines Tages bei einem einsamen Spaziergang am Ufer ein Schiff anlegen sah, das in Handelsangelegenheiten nach Nouvel Orléans gekommen war. Ich beobachtete, wie die Mannschaft an Land kam. Zu meiner höchsten Überraschung bemerkte ich Tiberge unter den Leuten, die sich auf den Weg Richtung Stadt machten. Ungeachtet der Spuren, die der Gram auf meinem Gesicht hinterlassen hatte, erkannte dieser treue Freund mich von Weitem. Er eröffnete mir, dass der einzige Grund seiner Reise der Wunsch gewesen sei, mich zu sehen und zur Rückkehr nach Frankreich zu bewegen; nachdem der Brief bei ihm eingegangen war, den ich ihm aus Le Havre geschrieben hatte, war er persönlich dorthin gereist, um mir die Unterstützung zu gewähren, um die ich ihn ersucht hatte; er sei zutiefst bekümmert gewesen, als er von meiner Abreise erfuhr, und wäre auf der Stelle aufgebrochen, um mir zu folgen, wenn er ein Schiff gefunden hätte, das gerade Segel setzte; er habe mehrere Monate lang in verschiedenen Häfen nach einem solchen gesucht, und als er endlich in Saint-Malo auf eines gestoßen sei, das nach Martinique in See stechen sollte, sei er in der Hoffnung an Bord gegangen, von dort aus ohne Weiteres eine Passage nach Nouvel Orléans zu bekommen; als das Schiff aus Saint-Malo auf der Fahrt von spanischen Freibeutern gekapert und zu einer ihrer Inseln gesteuert worden sei, habe er mit einigem Geschick entkommen können, und nach mancherlei Bemühen habe er eine Reisegelegenheit auf dem kleinen Schiff gefunden, das gerade angelegt habe, und nun befinde er sich glücklich an meiner Seite.
    Ich konnte einem so großherzigen und beständigen Freund gar nicht genug Dankbarkeit bezeigen. Ich geleitete ihn zu mir nach Hause. Ich überließ ihm alles, was ich besaß. Ich erzählte ihm alles, was mir seit meiner Abreise aus Frankreich widerfahren war, und um ihm eine Freude zu bereiten, auf die er nicht gefasst war, erklärte ich ihm, dass die Samenkörner der Tugend, die er seinerzeit in mein Herz gelegt habe, nun anfingen, Früchte zu tragen, mit denen er zufrieden sein werde. Er beteuerte mir, eine so wohlgefällige Zusicherung entschädige ihn für alle Mühen seiner Reise.
    Wir haben dann zwei Monate zusammen in Nouvel Orléans zugebracht, um auf die Ankunft der Schiffe aus Frankreich zu warten, und nachdem wir endlich in See stechen konnten, sind wir vor vierzehn Tagen in Havre-de-Grâce an Land gegangen. Bei meiner Ankunft schrieb ich an meine Familie. Die Antwort meines älteren Bruders enthielt die traurige Nachricht vom Tod meines Vaters, zu dem, so fürchte ich mit nur allzu viel Grund, meine Verfehlungen beigetragen haben.
    Da der Wind günstig stand für die Fahrt nach Calais, habe ich mich alsbald eingeschifft, da ich einen Edelmann aus der
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