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Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman

Titel: Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut - Roman
Autoren: Manesse-Verlag
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diesem Amerika eines der blutigsten und furchtbarsten Schauspiele zu bieten, das jemals von Liebe hervorgebracht wurde.
    Ich war auf dem Heimweg und dachte noch über dieses Vorhaben nach, als das Geschick, das mein Verderben beschleunigen wollte, es so fügte, dass ich mit Synnelet zusammentraf. Er las mir ein Gutteil meiner Gedanken von den Augen ab. Ich habe bereits gesagt, dass er ein beherzter Mann war; er trat mir entgegen.
    «Sie suchen nicht etwa mich?», sagte er zu mir. «Ich bin mir bewusst, dass meine Absichten Sie beleidigen, und ich bin darauf gefasst, dass wir einander an die Gurgel müssen. Sehen wir also zu, wem das Glück hold ist.»
    Ich antwortete ihm, er habe recht, und allein durch meinen Tod sei unser Streit beizulegen. Wir entfernten uns um die hundert Schritte von der Stadt. Wir kreuzten die Klingen; ich verwundete ihn und entwaffnete ihn fast im gleichen Augenblick. Sein Ungemach brachte ihn so sehr in Wut, dass er sich weigerte, für sein Leben zu bitten und Manons zu entsagen. Ich hatte womöglich das Recht, ihn mit einem Hieb um beides zu bringen, doch ein wohlgeborenes Blut verleugnet sich nie. Ich warf ihm seinen Degen zu. «Gehen wir es nochmals an», sagte ich zu ihm, «und denken Sie daran, es gibt kein Pardon.»
    Er griff mich mit unerhörter Raserei an. Ich muss gestehen, dass Waffenkampf nicht meine Stärke war, hatte ich doch nur drei Monate lang in Paris den Fechtboden absolviert. Doch die Liebe führte mir den Degen. Zwar gelang es Synnelet, mir den Arm zur Gänze zu durchbohren, doch ich nutzte seinen Angriff, um ihm einen so kräftigen Hieb zu versetzen, dass er mir reglos zu Füßen stürzte.
    Zwar vermag der Sieg in einem Kampf auf Leben und Tod Freude zu bereiten, doch ich dachte sogleich an die Folgen, die dieser Tod nach sich zog. Ich durfte weder Gnade noch einen Aufschub meiner Hinrichtung erhoffen. Da ich nun einmal wusste, wie sehr der Gouverneur in seinen Neffen vernarrt war, zweifelte ich nicht, dass mein Tod keine Stunde lang auf sich warten lassen würde, sobald der seine bekannt geworden war. Doch so sehr diese Furcht mir auch zusetzte, sie war nicht meine größte Sorge. Manon, Manons Wohl, ihre Bedrängnis und die Gewissheit, sie zu verlieren, verstörten mich so sehr, dass mir schwarz vor Augen wurde und ich nicht mehr wusste, wo ich mich befand. Synnelets Geschick tat mir leid. Ein rascher Tod schien mir das einzige Mittel gegen meine Qualen. Doch eben dieser Gedanke war es, der mich schnell wieder zur Besinnung brachte und mir die Kraft gab, einen Entschluss zu fassen. «Wie? Ich will sterben», so rief ich, «um meinen Qualen ein Ende zu machen? Es gibt also etwas, das ich mehr fürchte als den Verlust derer, die ich liebe? Auf! Lasst uns das Äußerste an Grausamkeit erleiden, um die Geliebte zu retten, und heben wir uns das Sterben für hernach auf, wenn wir vergebens gelitten haben.»
    Ich nahm den Weg zurück in die Stadt. Ich trat ins Haus. Ich fand Manon halb tot vor Schrecken und Beunruhigung. Meine Anwesenheit brachte sie wieder zu Sinnen. Ich konnte ihr das schreckliche Unglück, das mir soeben widerfahren war, nicht verhehlen. Beim Bericht über Synnelets Tod und meine Verwundung sank sie mir ohnmächtig in die Arme. Es brauchte mehr als eine Viertelstunde, bis sie wieder zu sich kam.
    Ich war selbst halb tot. Weder für ihre Sicherheit noch für die meine sah ich die geringste Hoffnung.
    «Manon, was tun wir nur?», sagte ich zu ihr, als sie wieder ein wenig bei Kräften war. «Ach, was sollen wir tun? Ich muss unabwendbar fliehen. Wollen Sie in der Stadt bleiben? Ja, bleiben Sie hier. Sie können hier immer noch glücklich werden; ich aber werde fern von Ihnen den Tod bei den Wilden suchen oder in den Fängen reißender Tiere.»
    Sie erhob sich trotz ihrer Mattigkeit; sie nahm mich bei der Hand, um mich zur Tür zu führen. «Fliehen wir gemeinsam», sagte sie, «verlieren wir keinen Augenblick. Synnelets Leichnam mag durch Zufall bereits entdeckt worden sein, und dann bleibt uns nicht die Zeit zu fliehen.»
    «Aber, teure Manon!», antwortete ich völlig verzweifelt. «Sagen Sie mir, wohin wir gehen können. Sehen Sie denn irgendwo Rettung? Wäre es nicht besser, Sie versuchten, ohne mich hier zu leben, und ich böte dem Gouverneur aus freien Stücken meinen Kopf dar?»
    Dieser Vorschlag bewirkte nur, dass sie umso heftiger zum Aufbruch drängte. Ich musste mich ihr anschließen. Ich besaß noch die Geistesgegenwart, beim Hinausgehen etwas von
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