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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin
Autoren: Ira Miller
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habe.«
    Damit verschaffte er sich Respekt. Er war Mathematiklehrer.
    Mit dem Tablett in der Hand sah ich mich nach einem ruhigen Plätzchen in dem von Stimmengewirr erfüllten Raum um. An einem langen Tisch saßen viele Lehrer und unterhielten sich beim Essen. Ein Platz war frei. Der Englischlehrer auf dem Stuhl daneben grüßte mich lächelnd und konzentrierte sich dann wieder auf sein Sandwich. Ich setzte mich allein an einen kleinen Tisch in der Ecke.
    Immer hatte ich dieses komische Gefühl, ich wäre nicht gern gesehen. Einige Lehrer hegten Leuten aus dem Osten – oder allen jungen Leuten gegenüber? – grundsätzlich Misstrauen. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, warum ich den ganzen Weg von New York hergekommen war, um in Dillistown zu unterrichten.
    Dann wiederum glaubte ich, dass sie sich von mir fern hielten, weil ich Jude bin. Von meinem Namen konnten sie es nicht ablesen, aber ich hatte diese gewisse Nase …
    Sie waren nicht direkt bigott. Sie dachten eben nur gern in Stereotypen. Ein Kaufmann hatte einmal zu mir gesagt:
    »Gutwilligkeit ist keineswegs uneigennützig. Wahrscheinlich haben die Juden sie gepachtet.«
    Vielleicht war ich als einziger Jude in Dillistown auch nur überempfindlich.
    Zu Anfang waren einige Leute sehr nett zu mir gewesen. Eine Frau kam mit einem Präsentkorb voll Früchten und Gutscheinen für den Supermarkt, um mich willkommen zu heißen. Aber jetzt, im November, gehörte ich bereits zum Stadtbild. Niemand achtete mehr auf mich.
    Um ehrlich zu sein, ich achtete auch nicht besonders auf die Leute. Jeder kannte eben jeden, sie gehörten denselben Vereinen an, und die Frauen waren entweder verheiratet, oder mittlerweile zu alten Jungfern geworden. Viele hatten mich wohl in Verdacht, ein Hippie zu sein oder so was Ähnliches. Dabei ist mein Haar gar nicht so lang.
    Ich hatte ein paar Freunde unter den Kollegen.
    Irgendwo.
    Ein schriller Pfiff und das aufbrausende Johlen einer Teenagermenge machte mich darauf aufmerksam, dass ich gerade den Höhepunkt des Basketballspiels versäumt hatte. Die Dillistown Rebellen spielten gegen die Falken aus Lake Hardy.
    Ich hatte dem Mädchen an der Kasse fünfzig Cents für meine Eintrittskarte gegeben. »Danke, Mr. Lester«, hatte sie gesagt und dabei versucht, mir mit einem strahlenden Lächeln in die Augen zu schauen. »Hübscher Pullover«, hatte sie dann noch hinzugefügt, als ich auf die Eingangstür zur Turnhalle zugegangen war.
    Unter den mehreren hundert Zuschauern fand ich eine leere Bank auf der Dillistownseite. Was konnte einen fünfundzwanzigjährigen Lehrer an einem Basketballspiel interessieren?
    Ich mag Sport. Und außerdem …
    Während des Tages, wenn ich Arbeiten zensiere, Vorlesungen halte, den Schülern sage, was sie tun sollen, wenn ich eine extra Toilette benutze, in der Lehrercafeteria esse und mich in einem eigenen Arbeitszimmer aufhalte, fühle ich mich ausgeschlossen. Wenn die Arbeit dann vorbei ist, schreibt mir der Direktor vor, was ich zu tun habe, und die Außenwelt betrachtet mich als einen durchschnittlichen Bürger, der genauso arbeiten geht, wie jeder andere auch.
    Bei einem Basketballspiel habe ich das Gefühl, dazuzugehören und etwas wert zu sein.
    »Anderson ist unser Mann. Was er nicht schafft, Burnside kann …«, skandierten die Cheerleaders. Sie waren wirklich süß. Sie sprangen in die Luft und feuerten mit ihren bunten Federschwänzen und Pompons die Menge an, animierten die Spieler und strahlten eine Menge von Koketterie und Arbeitseifer aus.
    In New York gehörten die Cheerleaders einer aussterbenden Rasse an, aber hier in Dillistown waren sie ebenso wichtig wie die Spieler.
    Cathy, die Anführerin, beobachtete mich. Nachdem sie ihr Anfeuerungslied beendet hatte, winkte sie mir lächelnd zu und stieß ihre Freundin Annette an, die ebenfalls zu mir herüberwinkte. Beide gingen in meine Englischklasse.
    Ich weiß nicht genau, wie ich mir meine Popularität bei den Schülern erklären soll, besonders bei den Mädchen. Dass ich jung bin, hat ganz sicher etwas damit zu tun, auch dass ich ein Mann bin, aber es steckt noch mehr dahinter. Ich genieße eine gewisse Aura, weil ich aus New York komme. Diese Mädchen sind in dem Alter, in dem sie von einem aufregenden Leben träumen und hoffen, der Enge der Kleinstadt eines Tages zu entfliehen.
    Ich halte mich nicht für schön. Ich bin ungefähr ein Meter achtzig groß und ein wenig zu dünn, gut rasiert, habe braune Augen, hellbraunes Haar und eine
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