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Die gelehrige Schuelerin

Die gelehrige Schuelerin

Titel: Die gelehrige Schuelerin
Autoren: Ira Miller
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wieder still und starrte aus dem Fenster. Ich hatte das Bedürfnis, diese Stille mit einem Laut zu füllen, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
    »Hausaufgaben schon gemacht?«
    »Immer der Lehrer, wie?«
    »Eh, nein. Eigentlich nicht. Nein. Überhaupt nicht. Manchmal lasse ich mich auch gehen. Aber in der Nähe von Schülern ist das etwas schwierig.«
    »Wir sind Menschen …«
    »Glaubst du, das weiß ich nicht?«
    »… nicht nur Schüler!«
    Ich schmollte.
    »He. Es tut mir Leid. Sie sind gar nicht so übel. Ehrlich. Sie sind ein bisschen anders.«
    »Nur ein bisschen?«, fragte ich – nicht ganz so gelassen, wie sonst in meiner Lehrerrolle. Sie hatte mich provoziert.
    »Nur ein bisschen«, bestätigte sie. Ich schwieg. »Und ich weiß, dass Sie sich verdammt viel Mühe geben.« Sie kannte mich gut. »Trotzdem behandeln Sie uns immer wie Schüler, nicht wie Menschen. Besonders, wenn Sie uns etwas vormachen … so … gön – ner – haft.«
    Sie betonte jede Silbe, als ob dieses Wort eine Vokabel wäre, die sie gerade gelernt hätte.
    »Ein bisschen streng, oder?«
    »Tut mir Leid. Ich habe doch gesagt, dass Sie sich Mühe geben.« Sie starrte wieder aus dem Fenster. Ich konnte das Gespräch nicht neu anknüpfen.
    »Die nächste rechts, dann links, das erste Haus auf der linken Seite.«
    Ich befolgte ihre Anweisung pflichtgemäß und fuhr den Wagen in die Auffahrt vor ihrem Haus.
    »Du könntest dich auch ein wenig mehr anstrengen«, sagte ich. Angriff ist die beste Verteidigung. Der von den Schülern umschwärmte Mick Jagger hatte sich langsam in den Gerald Ford verwandelt.
    Plötzlich entstand eine fühlbare Stille, so als ob wir beide zu atmen aufgehört hätten. Man konnte jedes Geräusch überdeutlich hören. Annie stieg nicht aus. Ich sah sie an, verwundert über ihren eigenartig selbstsicheren Gesichtsausdruck.
    Sie kniete sich auf den Vordersitz, lehnte sich über mich und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Langsam näherte sich ihr Mund meinen Lippen.
    Sie küsste mich lange.
    Ich hielt still, wusste nicht, warum ich nicht aus ihrer Umarmung brach. Sie öffnete meine Lippen und stieß ihre Zunge in meinen Mund.
    Heiß.
    Sie ließ los. Ich war außer Atem.
    Dann sagte sie: »Dieser Kuss war nicht von einem Mitglied aus Ihrem Fanclub, das Ihre Aufmerksamkeit sucht. Es war echt. Ich wollte Sie berühren.«
    Ich konnte nicht unterscheiden, ob sie nun eine Menge Liebesromane gelesen hatte oder wirklich glaubte, was sie sagte.
    Ihr Mund hatte nicht gelogen.
    Mein Herz raste wie ein Motor, der an einem kalten Wintermorgen warm läuft.
    In dem Augenblick fuhr Annies Mutter in die Einfahrt.

2. Kapitel
Vielleicht war es ein Fehler, »Lolita« zu lesen
    Die ganze Sache hätte ja nun ziemlich harmlos aussehen können, doch ich war so verlegen, dass ich mich irgendwo nach einem guten Versteck umsah. Ich suchte krampfhaft nach einer Ausrede für Mrs. Alston, warum ich mich so aufgeregt und erhitzt in ihrer Auffahrt befand, nachdem Annie gerade meinen Wagen verlassen hatte.
    Mrs. Alston kam an mein Autofenster. Einen Augenblick lang dachte ich daran, sie zu ignorieren und einfach abzufahren, aber ihr Wagen stand ja direkt hinter meinem.
    »Guten Abend, Mrs. Alston. Ich habe Annie nur schnell nach Hause gefahren. Wir haben uns beim Basketballspiel getroffen. Eine gute Schülerin.« Das klang ziemlich normal.
    »Sie müssen Mr. Lester sein«, sagte sie lächelnd. Ihre Haare wurden von Spray in Form gehalten. Unter dem geöffneten Mantel entdeckte ich eine Kellnerinnenuniform. »Annie hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Englisch ist ihr Lieblingsfach. Sie sagt, dass Sie ein großartiger Lehrer wären.«
    »Danke, Mrs. Alston. Annie macht mir auch sehr viel Freude.« Ich wäre fast an meiner Zunge erstickt bei dem Gedanken, dass sie mich missverstehen könnte.
    »Aber, danke, Mr. Lester! Es freut mich sehr, das zu hören.«
    Ich dankte Gott, dass sie sich abwandte, mir noch einmal zuwinkte und rückwärts aus ihrer Einfahrt fuhr, um mich herauszulassen.
    Auch die Geschwindigkeitsüberschreitung von über zwanzig Meilen brachte mich nicht schnell genug nach Hause. Als am nächsten Morgen die erste Stunde begann, war ich so weit selbst überzeugt, dass der ganze Vorfall nichts weiter als ein Teenagerphänomen sei. So fiel es mir leicht, in die selbstsichere »Mr. Lester-Rolle« zurückzuschlüpfen. Ich gebe zu, dass mich ein leichter Hitzeschauer überfiel, als Annie die Klasse betrat, aber ich überwand ihn
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