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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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kommen meine Mörder heute Nacht doch nicht.
    Aber sie werden kommen. Flavius Ursus wird nicht wollen, dass ich lebe, auch wenn mir sein Lächeln etwas anderes vormachen sollte. Ich weiß zu viel, nicht nur über die Vorkommnisse der letzten drei Monate, sondern die der letzten dreißig Jahre. Ich bin Vergangenheit. Und solange ich lebe, bin ich für sie eine Gefahr.
    Zuerst entledigen sie sich deiner Person, dann schicken sie die Meuchler.
    Ich betrachte mein Spiegelbild auf dem Grund des fast leeren Beckens. Eine trübe Ähnlichkeit treibt über den Nymphen und Göttern auf den Fliesen. Das bin ich. Ich habe mein Lebtag unter gottgleichen Männern verbracht. Deren Namen und Gesichter bleiben; meine werden von der Geschichte fortgespült.
    Es sei denn …
    Ist Crispus von den Toten auferstanden? Hat Porfyrius die Wahrheit gesagt? Oder hat er sich eine bizarre Lüge zurechtgelegt, um seine Verschwörung zu rechtfertigen? Seit zwei Monaten stelle ich mir diese Frage Tag für Tag, Stunde um Stunde. Ich habe immer noch keine Antwort. Ich denke manchmal an die glasigen Augen und sage mir, es kann nicht sein. Aber dann erinnere ich mich an sein letztes, verzeihendes Lächeln und kann mir nicht vorstellen, dass es jemand anderes war.
    Habe ich die falschen Götter verehrt? Ich komme mir vor wie ein Fahrensmann, der sich dem Ende seiner langen Reise nähert, nur, um feststellen zu müssen, dass er die ganze Zeit über in die Irre gelaufen ist, sich aber von seinem Ausgangspunkt zu weit entfernt hat, um kehrtzumachen. Wenn ich weiß, dass ich die falsche Richtung eingeschlagen habe, wie soll ich dann noch meinen Weg fortsetzen?
    Ist das noch wichtig? Falls Crispus tatsächlich auferstanden war, so war’s ein Wunder gleich dem, wovon die Christen zeugen, dass nämlich ein Mann getötet und von Gott wieder zum Leben erweckt wurde. Ein solches Gottesgeschenk hätten wir kaum verdient. Männer wie Eusebius und Asterius verkehren ihren Glauben in eine Waffe und unterscheiden die Menschen nach denjenigen, die für sie, und solchen, die gegen sie sind. Bei all seinen Fehlern versuchte Konstantin mehr als alle anderen, Frieden zu stiften. Er sah sich von seiner neuen Religion darin unterstützt. Ich glaube, es war sein größter Fehler, sich mehr auf die Christen zu verlassen als auf ihren Gott.
    Symmachus: Die Christen sind ein verwirrter und bösartiger Haufen. Ich stimme ihm zu. Für das, was Asterius und Eusebius getan haben, ist dies noch ein zu mildes Urteil.
    Aber sollte es tatsächlich nichts Gutes oder Wahres auf der Welt geben, nur weil schlechte Männer es ins Üble verkehren könnten? Sollen wir das Feld den Verfolgern und Folterknechten überlassen, Männern wie Maxentius oder Galerius oder dem alten Maximian?
    Ich erinnere mich an einen Satz aus Alexanders Buch: Die Menschlichkeit muss verteidigt werden, wenn wir Mensch zu sein beanspruchen.
    Es klopft an der Tür. Unwillkürlich fange ich an zu zittern. Dabei bin ich bereit. Mein Grabmal ist errichtet, draußen im Wald hinterm Haus. Ein versiegeltes Glas mit ein paar Erinnerungsstücken darin – die Schriftrolle mit meinen Aufzeichnungen und Porfyrius’ Kette – liegt schon in meinem Sarg. Ich nehme diese Dinge als meine Geheimnisse mit in den Tod. Wer sie finden sollte, wird lange rätseln müssen, um ihnen einen Sinn zu entlocken. Mein Lebensende ist erreicht, und ich weiß von nichts.
    Wieder klopft es, ungeduldig und laut. Kein Zweifel, Flavius Ursus’ Häscher haben dieser Tage viel zu tun. Ich sollte sie nicht warten lassen.
    Ich mühe mich auf, halte aber meinen Blick auf den Grund des Beckens gerichtet, wo mir im Mosaik ein winziges Detail ins Auge springt, das mir bislang noch nicht aufgefallen ist: zwei Seegrashalme, die sich zu einem Kreuz übereinanderlegen. Eine einfache Form, die man überall vorfindet.
    Ich bin bereit. Ich habe keine Angst vor dem Sterben oder vor dem, was danach kommt. Meine Stimme ist fest und gut vernehmlich.
    «Tritt ein.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Historische Anmerkungen
    Meine erste Bekanntschaft mit Konstantin dem Großen machte ich als Student, als ich eine Seminararbeit schreiben musste mit dem Titel: «Glaubte Konstantin, einer göttlichen Mission zu folgen, und wenn ja, tat er es als Christ?» Der vorliegende Roman ist gewissermaßen der erweiterte Versuch einer Beantwortung dieser Frage.
    Paul Stephensons jüngst herausgegebene Biographie Konstantins weist nachdrücklich darauf hin, dass es über sein Leben kaum
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