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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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gebrauchen.»
    Die Männer schulterten ihre Rucksäcke. Die Sprengsätze waren an der Decke befestigt – ziegelsteinförmige Pakete, mit Schlauchstücken verbunden. Womöglich würden sie die ganze Katakombe zum Einsturz bringen.
    «Warum machen Sie das?», fragte Abby. Sie war wie betäubt, von einem Fatalismus ruhiggestellt, der weder Furcht noch Hoffnung kannte. Von Michael nahm sie keine Notiz.
    «Manchmal ist es ganz nützlich, wenn man für tot gehalten wird. Michael Lascaris hätte sich an die Spielregeln halten sollen.»
    Einer nach dem anderen kroch durch das Loch zurück in den Stollen. Abby blieb auf den Ziegeltrümmern stehen und drehte sich noch einmal um. Sie betrachtete die beiden Symbole an der Wand, den aufgebrochenen Sarkophag und Michael, der mit verrenkten Gliedern am Boden lag.

Konstantinopel – Juni 337
    Diesen Krieg wollte Konstantin vermeiden. Er wird ausgetragen auf engstem Raum über seiner Grabstätte: Rom gegen Rom, zwischen Soldaten mit gleichen Uniformen. Lediglich die Wappen auf ihren Schilden unterscheiden sich. Es ist nur ein kleiner Schlagabtausch, ein Ringkampf gewissermaßen. Auf dem schmalen Steg lassen sich die Schwerter nicht richtig zum Einsatz bringen. Aber wildwütig ist es allemal. So dicht an dicht kann man jeden Tropfen Blut riechen, der vergossen wird, und das Öl, mit dem die Klingen eingefettet sind.
    Und die Menge am Boden sieht nicht einmal, was über ihren Köpfen geschieht. Das von außen glitzernde Gitterwerk schirmt uns ab. Tief unten preist Constantius die Werke seines Vaters. Die Senatoren und Generäle hören ihm zu. Der Hauptmann der Garde hält eine brennende Fackel in der Hand, um den Scheiterhaufen damit zu entzünden. Niemand ahnt, dass sich die Toten über Konstantins Mausoleum bereits türmen.
    Blut spritzt auf das weiße Gestein. Leichen verstopfen den Steg und hemmen die Schlacht. Wir werden von beiden Seiten angegriffen, leisten aber immer noch Gegenwehr. Flavius Ursus’ Männer – ich vermute, es sind Ursus’ Männer – treiben uns um die Kuppel herum. Manche Wachen blockieren den Einstieg, andere achten darauf, dass wir nicht über das Gerüst fliehen.
    Porfyrius’ Männer bilden zu beiden Seiten ein menschliches Bollwerk, das jedoch immer schwächer wird. Ich bin ganz ruhig, obwohl mir klar wird, dass ich hier wahrscheinlich sterben werde: ein Blutopfer an Konstantins Grab. Ich kann Crispus nirgends sehen. Vielleicht ist er schon tot.
    Porfyrius schreit mir etwas ins Ohr und zeigt nach oben. Am Sockel der Kuppel lehnt eine lange Leiter. Ursus’ Gardisten bedrängen uns immer heftiger. Ich steige auf die Sprossen. Die Leiter schwingt und wackelt, angestoßen vom Geschiebe unter uns. Ein Schwertstreich verfehlt nur knapp meinen Fuß. Hände versuchen, mich herabzuzerren. Ich trete mich frei und sehe Porfyrius stürzen.
    Wenig später habe ich die Dachkante erreicht und schreie vor Schmerzen auf, geblendet vom Glanz der Kupferschindeln, die so heiß sind, dass ich mich daran verbrenne, wenn ich mit ihnen in Berührung komme. Nach oben blickend, sehe ich eine Gestalt auf die Kuppelspitze zustreben. Ich folge ihr nach und nutze die Falten meiner Toga, um mich vor den heißen Schindeln zu schützen. Es wäre durchaus möglich, dass sie Feuer fängt, doch das kümmert mich nicht. Ich will nur eines, bevor ich sterbe: die Antwort auf eine letzte Frage.
    Bist du es wirklich?
    Die Menschenmenge in der Tiefe hat jetzt offenbar bemerkt, was hier oben vor sich geht. Ein Raunen wird laut. Die Senatoren recken ihre Hälse. Constantius hat, wie es scheint, seine Rede unterbrochen und blickt empor.
    Jetzt ist es so weit.
    Ich habe den oculus erreicht, das große runde Loch im Scheitelpunkt der Kuppel, durch das Tageslicht ins Mausoleum fällt. Crispus steht auf dessen Rand und wendet sich der Menge zu, die Arme in göttlicher Pose weit ausgebreitet.
    Flavius Ursus, der neben Constantius auf dem Podest steht, reißt dem Gardisten die Fackel aus der Hand und schleudert sie auf den Scheiterhaufen. Der ist mit Öl und Pech getränkt und fängt sofort Feuer. Die Aufmerksamkeit der Menge wird abgelenkt vom Geschehen auf dem Dach hin zu den Flammen, die turmhoch auflodern.
    Ich kauere auf allen vieren, den Blick auf Crispus gerichtet. Er ragt vor mir auf wie ein Gott, und als solcher wird er mich, wie ich glaube, auch gar nicht beachten.
    «Bist du’s?» Meine Kehle ist trocken, meine Stimme ein erlöschendes Wispern. Trotzdem scheint er mich zu hören, durch
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