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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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Handbremse. Seine Hand streifte Abbys Schenkel am hochgerutschten Saum ihres leichten Sommerkleides. Er nahm einen Schluck aus dem Fläschchen und reichte es ihr.
    «Es wird sich lohnen. Versprochen.»

    Wahrscheinlich würde er recht behalten. So war es immer bei ihm: Man wollte ihm glauben, egal, wie verrückt seine Ideen auch sein mochten. Mit halsbrecherischen Manövern, die wohl selbst hiesige Fahrer, die zu den rücksichtslosesten in Europa zählten, nicht gewagt hätten, schlängelten sie sich durch das Verkehrschaos von Priština. Kaum hatten sie es hinter sich gelassen, drückte Michael das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Abby lehnte sich zurück und sah die Landschaft vorbeifliegen. Mit heruntergelassenem Verdeck jagten sie vor dem Sturm her, der sich hinter ihnen zusammenbraute, über die Ebene des Kosovo und auf die Ausläufer der Berge zu, die die sinkende Sonne gegen den Himmel quetschten. Er schien scharlachrot zu bluten. An der Grenze zu Montenegro wechselte Michael ein paar Worte mit den Zöllnern, die sie sofort durchwinkten.
    Sie waren jetzt tief in den Bergen, umwirbelt von kaltem Wind. Obwohl schon August war, hatten sich auf den Höhen vereinzelt Schneefelder gehalten. Michael ließ das Verdeck unten, drehte aber die Heizung voll auf. Abby fand eine Decke im Fußraum und wickelte sie um sich.
    Und plötzlich war das Ziel erreicht. Die Straße führte um einen Felsvorsprung herum auf einen Hang hoch über dem Meeresarm, auf den sich die Schatten der Berge gelegt hatten. In kleinen Buchten und an Stränden funkelten dicht an dicht die Lichter der Segel- und Motoryachten wie leuchtender Seetang.
    Michael bremste ab und steuerte scharf nach links. Abby schnappte nach Luft. Es schien, als schleuderte er über den Rand der Klippe hinaus. Tatsächlich aber befanden sie sich auf einem unbefestigten Fahrweg, der vor einem schmiedeeisernen Tor in einer verputzten hohen Mauer endete. Aus dem Handschuhfach holte Michael eine Fernbedienung hervor. Das Tor glitt auf.
    Abby krauste die Stirn. «Kommst du häufiger hierher?»
    «Heute ist es das erste Mal.»
    Den Blick durch das geöffnete Tor gerichtet, entdeckte Abby das Flachdach eines Gebäudes, das in der Dämmerung gespenstisch weiß aufleuchtete. Es stand auf einem Felsvorsprung weiter unten am Hang, an der einzigen Stelle diesseits des Meeresarms, wo ein Haus überhaupt stehen konnte. Jenseits der Bucht waren die Lichter einer Stadt zu sehen, die sich über die gesamte Bergflanke ausbreitete.
    Michael hielt auf einem kiesbedeckten Vorplatz vor dem Haus an. Er stieg aus, zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die schwere Eichentür.
    «Nach Ihnen, gnädige Frau.»
    Von außen schlicht, war das Innere der Villa umso überwältigender. Als gutdotierte EU-Gesandte wohnte Abby in Priština durchaus komfortabel, aber dieser Luxus hier rangierte auf einer völlig anderen Ebene. Die Böden waren aus Marmor: grünliche und rosafarbene Fliesen, in geometrischen Mustern verlegt. Das Mobiliar schien von Riesen getischlert worden zu sein. In den Sesseln und Sofas konnte man sich verlieren. Ein Esstisch aus Mahagoni bot Platz für zwölf Personen, und an der Wand hing der größte Flachbildschirm, den Abby je gesehen hatte. Die gegenüberliegende Wand beherrschte eine ebenso große, dreigeteilte Ikone, von der drei orthodoxe Heilige vor einem Hintergrund aus Blattgold auf sie herabblickten.
    «Wie viel hat dich das gekostet?»
    «Keinen Penny. Das Haus gehört einem italienischen Richter, einem Freund von mir. Er hat es mir für das Wochenende überlassen.»
    «Erwarten wir noch andere Gäste?»
    Michael schmunzelte. «Wir haben das ganze Haus für uns.»
    Sie blickte auf den Aktenkoffer, den er bei sich trug. «Du willst doch hoffentlich nicht arbeiten?»
    «Warte, bis du den Pool gesehen hast.»
    Er öffnete die Glastür. Abby trat nach draußen und schnappte abermals unwillkürlich nach Luft. Die Pool-Terrasse reichte bis zum Felsrand hinaus und wurde auf drei Seiten flankiert von klassischen Säulen, deren Kannelierung und korinthischen Kapitelle nicht so recht zu der ansonsten modernen Architektur passten. Auf der vierten Seite stürzte der Fels jäh in die Tiefe. Im Dämmerlicht hatte es den Anschein, als schwebte der Pool über dem Meer. Ein Geländer gab es nicht.
    Abby hörte ein leises Klicken im Rücken. Michael hatte einen Schalter bedient. Indirektes Licht ließ das Wasser aufleuchten. Abby blickte auf eine Unterwasserwelt aus Nymphen und
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