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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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Delphinen, Meerjungfrauen und Seesternen. Ein kunstvolles Mosaik aus kleinen schwarzen und weißen Steinen zeigte eine Gottheit mit Haaren aus Seetang, die in einem Streitwagen von vier Pferden gezogen wurde. Im flimmernden Licht des leicht bewegten Wassers schien das ganze Ensemble zu tanzen.
    Hinter den Säulen flammten weitere Lichter auf, gerichtet auf marmorne Skulpturen: Herkules in einem Löwenfell, auf seine Keule gestützt; eine barbusige Aphrodite, die das bis zu den Hüften heruntergerutschte Gewand mit den Händen festhielt; Medea mit einem Gewusel von Schlangen auf dem Haupt. Abby nahm an, die Skulpturen seien durch und durch aus Marmor, doch als sie eine mit der Hand berührte, geriet sie auf ihrem Sockel ins Wanken. Sie war so leicht, dass ein Windstoß sie zu Fall gebracht hätte. Erschrocken wich Abby zurück.
    «Vorsicht», sagte Michael. «Die werden heute nicht mehr hergestellt.»
    Abby lachte. «Du willst doch nicht behaupten, das seien Originale?»
    «O doch. Das wurde mir jedenfalls versichert.»
    Verwirrt schlenderte Abby an den stummen Gestalten vorbei. Sie erreichte das Ende der Terrasse und schaute in die Tiefe. Der Fels war so steil, dass man den Fuß nicht sehen konnte, nur den silbrigen Schaum des von den Klippen aufgewühlten Wassers. Sie fröstelte. Das dünne Sommerkleid, das sie trug, reichte so spät im August bei weitem nicht mehr.
    Plötzlich knallte es hinter ihr. Irgendetwas flog dicht an ihrem Kopf vorbei, streifte fast ihre Wange. Für einen Moment wähnte sie sich nach Freetown, Mogadischu oder Kinshasa zurückversetzt. Herumwirbelnd geriet sie am Rand der Terrasse aus dem Gleichgewicht und griff instinktiv nach der nächsten Säule, um sich daran festzuhalten.
    «Alles in Ordnung?»
    Michael stand neben dem Pool. Er hielt zwei Champagnerflöten in der einen und eine geöffnete Flasche Pol Roger in der anderen Hand.
    «Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich dachte, wir sollten feiern.»
    Feiern? Was? Abby lehnte sich an die Säule und hielt sich fest, als eine Windböe an ihrer goldenen Halskette zupfte. Ein verrückter Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Wollte er ihr etwa einen Antrag machen?, fragte sie sich mit pochendem Herzen.
    Michael schenkte den Champagner ein und drückte ihr eines der Gläser in die Hand. Ein kleiner Schluck schwappte über den Rand und tropfte ihr von den Fingern. Er legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an sich. Abby nippte an ihrem Glas. Michael schaute aufs Meer hinaus, als suchte er etwas. Am Horizont verlosch das letzte dünne Lichtband des Tages.
    «Ich habe Hunger.»

    Michael holte eine Kühltasche aus dem Wagen, und bald duftete es im Haus nach geschmortem Knoblauch, Krevetten und Kräutern. Abby schaute ihm beim Kochen zu und trank. Der Champagner hielt nicht lange vor. Aus der Kühltasche tauchte eine Flasche Sancerre auf, und auch sie war bald leer. Abby fand einen Schalter, mit dem sich die Heizstrahler auf der Terrasse in Betrieb nehmen ließen. Sie aßen draußen am Pool. Ihre nackten Beine baumelten im Wasser. Das Licht umspülte die Säulenreihe, und am Himmel funkelten Sterne.
    Abby fühlte sich völlig entspannt, was wohl nicht zuletzt dem guten Essen und Trinken zu verdanken war. Weil es kühler wurde, machte Michael Feuer im Wohnzimmerkamin. Vom Sofa aus betrachteten sie die Sterne über der Bucht. Abby rollte sich wie ein Kätzchen zusammen, bettete ihren Kopf auf Michaels Schoß und schloss die Augen, während er ihr streichelnd durchs Haar fuhr. Du bist zweiunddreißig, ermahnte eine kleine Stimme sie, keine siebzehn mehr. Was soll’s? Es gefiel ihr, gestreichelt zu werden. Michael gegenüber hatte sie keinerlei Verpflichtungen. Das Leben mit ihm war leicht.
    Viel später – nach einer zweiten Flasche Wein, als die Lichter der Stadt auf der anderen Seite der Bucht schon verloschen waren und im Kamin nur noch Glut glomm – erhob sich Abby vom Sofa. Sie wankte. Michael, noch überraschend sicher auf den Beinen, gab ihr Halt.
    Sie schlang die Arme um ihn und küsste seinen Hals.
    «Gehen wir ins Bett?» Ihr war bewusst, dass sie einen Schwips hatte, doch es fühlte sich gut an. Sie wollte ihn und machte sich daran, sein Hemd aufzuknöpfen, was er aber nicht zuließ.
    «Du bist unersättlich», rügte er sie.
    Er führte sie ins Schlafzimmer, löste ihr die Kette vom Hals und setzte sie auf das Bett. Abby versuchte, ihn auf sich zu ziehen. Er aber trat einen Schritt zurück.
    «Was hast du vor?»
    «Ich
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