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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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das Feuerbrausen und die Rufe der Menge hindurch. Er blickt auf mich herab und zeigt mir ein warmes, verzeihendes Lächeln.
    Ein Schatten verdunkelt die flirrende Luft. Crispus schreit auf und fasst sich an die Seite. Blut quillt durch den Stoff seiner Tunika; zwischen den Rippen steckt ein Pfeil. Bogenschützen sind auf dem Dach des Vorbaus im Osten aufgetaucht. Ein zweiter Pfeil trifft seine Schulter. Er taumelt zurück bis an den Rand des oculus .
    Die unter seinen Füßen glühenden Kupferschindeln erwecken den Eindruck, als schwebe er in der Luft. Einen Moment lang bin ich tatsächlich geneigt zu glauben, dass er von rettenden Engeln emporgehoben und außer Gefahr gebracht wird.
    Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzt er durch das Loch. Pfeile prasseln auf das Dach ein, doch keiner trifft mich. Ich krieche auf den Rand zu und blicke hinab.
    In der Tiefe sehe ich den großen Sarkophag aus Porphyr, der in einer Nische vor einer schwarzen Wand steht. Davor liegt, mitten im Fleck der durch das Loch strahlenden Sonne hingestreckt, ein Leichnam auf dem sternförmig gemusterten Marmor.
    Ein Schatten stört den ansonsten vollkommenen Lichtkreis. Es dauert eine Weile, bis mir klar wird, dass ich ihn werfe.

Rom – Gegenwart
    Sie eilten durch die Gänge, den Spuren folgend, die sie auf dem Hinweg im sandigen Boden zurückgelassen hatten. Sie hatten die erste Treppenflucht noch nicht erreicht, als der Hintermann, der das Zündkabel abwickelte, «Halt» rief und darauf aufmerksam machte, dass seine Spule leer sei.
    Abby sah Dragović zum ersten Mal besorgt. «Sind wir weit genug entfernt?»
    Der Mann schürzte die Lippen. «Ziemlich porös der ganze Aufbau hier, und wir haben einiges an Ladung angebracht.»
    «Du bleibst hier», sagte Dragović. «Gib uns zwei Minuten.»
    Der Mann holte den Sprengkasten aus dem Rucksack und schloss die Drähte an. Abby spielte mit dem Gedanken, ihn zu überraschen und die Sprengung auszulösen, um das Gewölbe über Dragović einstürzen zu lassen. Aber es stand ihr ein anderer Mann im Weg, und der Stollen war zu eng, als dass sie an ihm hätte vorbeischlüpfen können.
    «Oder vielleicht fünf Minuten zur Sicherheit?»
    «Zwei. Die Carabinieri dürften schon ganz in der Nähe sein.»
    Dragović machte sich wieder auf den Weg und legte einen Schritt zu. Auch seine Leute hatten es eilig. Abby spürte immer wieder eine Hand im Rücken, die sie voranstieß. Sie versuchte, die Sekunden zu zählen, doch das gnadenlose Tempo brachte ihren Rhythmus durcheinander. Wie lang sind zwei Minuten? Würde die Zeit reichen? Vielleicht war sie doch noch nicht bereit zu sterben.
    Sie kamen zur Treppe und hasteten hinauf in eine größere Kammer, in die vier Schächte mündeten. Der Boden war dort felsig, sodass sich die hinterlassenen Spuren nicht mehr so einfach zurückverfolgen ließen. Dragović zögerte.
    Er kennt den Weg nicht, dachte Abby.
    «Was ist das?»
    Der Mann neben ihm zeigte in einen der Schächte. Abby folgte seinem Blick. Hinter einer Biegung schimmerte Licht, das stetig heller wurde.
    «Carabinieri!»
    «Wir teilen uns auf», verlangte Dragović. «Versuchen wir, sie abzuschütteln.»
    Er packte Abby beim Kragen und stieß sie vor sich her.
    «Du kommst mit mir für den Fall, dass …»
    Ein dumpfes Dröhnen drang aus der Tiefe der Katakombe. Zwei Minuten. Abby bemerkte, wie Luft an ihr vorbeistrich, angesaugt von der Explosion. Kurz darauf kam die Druckwelle zurück, um einiges heftiger und mit Sand geladen, der ihr die Haut aufraute. Ein Beben ließ die Felsen erzittern.
    Instinktiv wirbelte sie herum, um sich vor dem Ansturm zu schützen, und rannte los, weg vom Epizentrum, weg von Dragović und den Felsbrocken, die sich von der Decke lösten. In den nächsten Querstollen bog sie ein, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wohin er führte. Hauptsache fort.
    Aber so leicht sollte sie nicht entkommen. Jemand anderes hatte dieselbe Idee. Es dröhnten Widerhall und prasselnder Schutt, und trotzdem hörte sie hinter sich das Stakkato hastiger Schritte.
    Denen konnte sie nicht davonlaufen. Sie musste sich verstecken. Die Wände waren voller cubiculae , schmaler Nischen, in denen früher Gebeine ruhten. Wenn ein Leichnam da reinpasste, sind sie auch groß genug für mich. Sie schaltete die Stirnlampe aus und quetschte sich in eine der untersten Höhlungen.
    Abby kam sich vor wie in einem Schraubstock. Den Kopf zur Seite geneigt, spürte sie die Decke gegen die eine Wange drücken und den
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