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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten
Autoren: Tom Harper
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und holte einen Druckluftnagler sowie einen Plastikschlauch daraus hervor. Mit dem Nagler schoss er drei lange Stifte in die Mauer, um die er dann den Schlauch zu einem Dreieck schlang. Nachdem er zwei Metalldübel in den Schlauch gesteckt hatte, zog er ein Kabel aus dem Rucksack. Abby wurde von dem Mann, der sie gepackt hielt, zurück durch den Tunnel geführt. Die anderen folgten und gingen in einem Seitenstollen in Sicherheit.
    «Dir wird nichts passieren», flüsterte Michael ihr zu.
    Alle gingen in die Hocke. Ihr Aufpasser ließ sie los, um sich die Hände an die Ohren zu halten. Abby tat es ihm gleich. Der Mann mit dem Rucksack verband die Drähte mit einer Fernsteuerung.
    Abby sah nicht, wie er den Knopf drückte. Sie spürte nur die Detonation und eine Druckwelle voller Staub. Steinsplitter regneten von der Decke. Sie machte sich auf Schlimmeres gefasst, denn der ganze Fels bebte. Aber dann wurde es still.
    Der Mann mit dem Zünder lief los und brüllte etwas. Alle rückten wieder durch den Tunnel vor. Aus der Mauer waren große Schuttteile herausgebrochen. Eine Staubwolke legte sich darüber, die den Blick nur allmählich wieder freigab.
    Einer nach dem anderen kroch durch das aufgesprengte Loch. Abby tastete sich voran. Der Staub nahm ihr den Atem. Dann war auch sie auf der anderen Seite.
    Im tiefsten Teil der Katakombe strichen sieben Lampenstrahlen über die Wände einer Kammer, die seit sieben Jahrhunderten kein Mensch mehr gesehen hatte. Abby fühlte sich an die Grabstätte im Kosovo erinnert. Dieser Raum war jedoch ein wenig größer, vielleicht drei Meter lang und fast ebenso breit. Unter dem Tonnengewölbe konnten alle aufrecht stehen. Die Felswände waren vollständig bemalt mit einem eklektischen Mix aus Tauben und Fischen, Soldaten in Habachtstellung und einem glattrasierten Jesus, der hinter einer riesigen Bibel hervorblickte, umgeben von bärtigen Heiligen oder Propheten, die an langen Stäben lehnten. Zu beiden Seiten einer Apsis, die in die gegenüberliegende Wand eingelassen war, waren zwei große Symbole aufgemalt: das Christusmonogramm und das Staurogramm.

    In der Apsis dazwischen stand ein Sarkophag, keine einfache Steintruhe wie die, in der Gaius Valerius Maximus gelegen hatte, sondern ein prachtvoller Quader aus rotem Marmor, dessen Seitenwände mit Halbreliefs geschmückt waren. Sie stellten zwei Reiter-Phalanxen dar, die aufeinander zupreschten. Auf dem Deckel war eine Seeschlacht nachgebildet. Trotz des schwachen Lichts erkannte Abby jedes noch so kleine Detail. Sämtliche Ruder, die Takelagen und das Rüstzeug der Kämpfenden waren deutlich herausgearbeitet.
    «Wie hat man es bloß geschafft, dieses Riesending hier runterzubringen?», staunte Michael laut.
    Dragović durchquerte die Kammer. Er beugte sich über den Sarkophag, schmiegte seine Wange an den Deckel und streckte beide Arme aus, um den kalten Stein zu umarmen.
    «Porphyr», sagte er. «Nur Kaisern vorbehalten.»
    «Liegt hier … Konstantin?», fragte Abby.
    «Konstantin liegt in Istanbul.» Dragović richtete sich auf. «Ich schätze, das ist der Sarg seines Sohnes Crispus.»
    Er sprach mit Michael, und das auf so vertraute Weise, dass Abby erschauderte.
    Sie sah Michael an. «Wie bist du hierhergekommen?»
    «Sie haben mich am Stadtrand von Split geschnappt. Ich hatte keine Chance.»
    Dragović lachte.
    «Du solltest deine kleine Freundin nicht belügen. Glaubst du immer noch, dass sie dich liebt? Wie schon im Kosovo bist du zu mir gekommen. Und wieder aus demselben Grund. Weil du auf mein Geld scharf bist.»
    Abby spürte, wie sich in ihrem Innern ein Graben auftat. «Was ist mit Irina?»
    «Irina?», fragte Dragović. «Wer bitte schön soll das sein?»
    Michael ließ die Schultern hängen. «Es gibt keine Irina.»
    «Aber – das Foto? In deinem Apartment.»
    «Das ist Cathy. Meine Exfrau. Sie ist nie auf dem Balkan gewesen. Soweit ich weiß, lebt sie mit ihrem zweiten Mann irgendwo in Donegal.»
    Für Abby stürzte ein weiterer Teil ihrer Welt über ihr zusammen. Dragović spürte ihren Schmerz und lachte.
    «Hast du ihn etwa für einen Engel gehalten?» Er grinste verächtlich. «Ihm geht’s nur ums Geld. Wie allen anderen.»
    Abby starrte Michael an. Sie wollte nicht wahrhaben, was sie hörte. «Warum? Was ist aus der guten Sache geworden? Aus dem Kampf gegen die Barbaren?»
    Michael rang sich ein Lächeln ab. Es war ein Schatten seiner alten Sorglosigkeit, und nicht einmal der gelang ihm wirklich. Er sah einfach
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