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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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    Dicke graue Wolken hingen über der Stadt wie Nebel über erstarrter Lava. Die Gebäude bedeckten den Planeten von Horizont zu Horizont, eine Weltenbrand-Flechte aus schwelenden Häusergerippen, in denen sich die Toten eingenistet hatten.
    Ich saß auf den Zinnen des Turms und ließ meinen Blick über Häuserruinen und verfallene Straßenschluchten schweifen. Von hier oben wirkten die umherirrenden Bewohner der Stadt bedeutungslos winzig. Sie versteckten sich im Schatten der Mauern, verzerrte Karikaturen menschlichen Lebens, und starrten aus der Dunkelheit zu mir empor. Hunderte glühender Augen klebten an mir, und ich wünschte, ein Mammutbein heben und die ameisengroßen Geschöpfe unter meiner Fußsohle zermalmen zu können. Der Wind trug ihre Gesänge zu mir herauf, ein tausendstimmiges Lied in einer uralten Sprache:
     
    Siehe, es lebt Kematef, der Fürst!
    Der vom Himmel stürzte und seine Zeit vollendet hat.
    Mit der Krone aus Stein auf seinem Haupt
    und dem Zepter aus Staub in seiner Hand …
     
    Ich schmeckte das Aroma der Tiefe, ihren Gestank aus siedendem Schweiß und verbrannter Haut, aus Talg und Napalm, Salz und Schwefel. Als ich die Stimmen der Bewohner nicht mehr ertrug, breitete ich meine Schwingen aus und stürzte auf sie herab. Dicht über ihren Köpfen ging ich in einen Gleitflug über, raste durch die Häuserschluchten, glitt tiefer und tiefer über den Boden dahin, dem immer greller werdenden Licht entgegen. Dann erscholl das Quietschen über den Asphalt radierender Reifen, das laute Bersten von Blech. Das Kreischen der Bremsen schnitt ebenso schmerzhaft in mein Bewusstsein wie der unbarmherzige Schlag, der meinen Körper erschütterte und durch die glutwarme Luft schleuderte …
     
    Mit einem stummen Schrei auf den Lippen schreckte ich auf. Das Echo des Aufpralls hallte in mir nach. Ich schlug meinen Kopf gegen die Wand, fester und fester, bis ich das Gefühl hatte, den Traum aus meinem Unterbewusstsein geschmettert zu haben. Nur widerwillig verging der Schmerz, verkroch sich hinter der Realität und wich düsterem Zwielicht. Am Ende kauerte ich mich in einer Ecke des Zimmers zusammen und lauerte auf Schritte und Stimmen.
    Lange war außer dem immerwährenden Heulen des Windes nichts zu hören, dann drangen dumpfe Schläge an meine Ohren. Ich packte die rostige Eisenstange, die ich griffbereit neben mich gelegt hatte, und starrte auf den mit dicken Brettern verrammelten Eingang. Jenseits der Barrikade erklang ein Schleifen, als gleite etwas langsam an ihr herab. Ein Schnauben war zu vernehmen, laut und stockend, gefolgt von Geräuschen, die sich anhörten, als kratze jemand mit Metallklingen über das Holz.
    Meine Hand krampfte sich um die provisorische Waffe. Ich wusste nicht, was sich dort draußen an der Barriere zu schaffen machte, doch es war keinesfalls menschlich.
    Dicht über dem Boden ertönte nun ein Hecheln und Knurren, fast so, als hätte die Kreatur meine Witterung aufgenommen, gefolgt von einem Scharren, das klang, als wolle sie sich durch das Gestein graben. Erneut zitterte die Barrikade unter einem donnernden Schlag, dann vernahm ich sich rasch entfernende Schritte wie von einem riesigen Insekt. Ich entspannte mich ein wenig und wartete, bis ich sicher war, dass das Wesen nicht mehr zurückkehren würde. Dann schlich ich bis auf Armlänge an den Eingang heran. Auf dem Korridor war nichts zu hören.
    Vorsichtig setzte ich die Eisenstange an, hebelte einen der massiven Balken aus der Barriere und sah durch die neu entstandene Öffnung. Der Flur wirkte verlassen. Behutsam vergrößerte ich das Loch in der Tür und kroch nach draußen. Dort verharrte ich und lauschte. Durch den Turm heulte der Wind, sonst herrschte Stille. Der rußbedeckte Korridor verlor sich in einer weiten Biegung. Ich orientierte mich und schlug die Richtung ein, in der das Treppenhaus liegen musste. Alle fünfzehn Schritte klafften Türöffnungen in den Wänden. An jeder hielt ich inne, doch die dahinter liegenden Räume waren leer.
    Bizarre Insekten bevölkerten in dieser Höhe des Turms Böden, Decken und Wände, krochen, glitten, hüpften oder flogen davon, wenn ich in die Eingänge trat. Unablässig waren sie damit beschäftigt, sich zu vermehren und gegenseitig aufzufressen, sich immer weiter zu vermehren und zu fressen und zu fressen, nur um ihrerseits von den allgegenwärtigen Schwämmen gefressen zu werden, hüfthohen, unförmigen Klumpen, die wie Industriestaubsauger durch die Flure des
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