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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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Ich schaute schläfrig in die Runde. Károly, mein rumänischer Kollege, und Rahmed, der Beauftragte des ägyptischen Nationalmuseums, saßen auf Klapphockern neben meinem Bett, während Mohad, Rahmeds Bruder, mit seiner Leibesfülle den Arbeitstisch im Hintergrund des Zeltes belastete. Er warf unablässig einen kleinen, hellen Gegenstand in die Höhe und fing ihn blind wieder auf, wobei er mich aufmerksam musterte. Als mein Blickfeld sich endlich klärte, erkannte ich in dem Ding, das von Mohad auf seine Flugtauglichkeit geprüft wurde, einen faustgroßen Uräuskopf, der mindestens das Dreifache seines Alters in Pfund kosten musste. Britische Pfund wohlgemerkt, nicht ägyptische.
    Die Schwäche in meinen Gliedern blieb, doch die Müdigkeit war schlagartig verflogen. »Um Himmels willen, leg das sofort wieder hin!«, rief ich (eine schamlose Übertreibung angesichts der Misstöne, die meine Stimmbänder erzeugten) und streckte die Hand aus, als könnte ich von meiner Liegestätte aus den drohenden Fall des Artefakts verhindern.
    »Ruhig Blut, Hype.« Károly reichte mir eine Flasche mit Wasser. »Dieser alte Plunder ist nichts im Vergleich zu dem, was wir gefunden haben.«
    Mein ausgestreckter Zeigefinger wanderte von Mohad auf meinen Kollegen. »Nenn mich nicht Hype!«, hustete ich. »Das hab ich dir schon tausendmal gesagt!«
    »Ist wieder ganz der Alte«, kommentierte Rahmed in seiner typischen gleichgültigen Art. »Kaum von den Toten auferstanden, und schon auf Hundertachtzig.«
    Ich nahm einen tiefen Schluck aus der Feldflasche und sank erschöpft auf die Matratze zurück. ›Hype‹ war Károlys albernes Kürzel für Hippolyt. Er hatte es bereits im Lager eingeführt, als er mich am zweiten Tag der Grabungen von einer nahen Anhöhe herab aus meinem Zelt gerufen hatte – über das ganze Camp hinweg und für alle hörbar. Ein Teil der Einheimischen, die unsere Zeltstadt bevölkerten, war der englischen Sprache mächtig, und so war ›Hype‹ mit unverhohlener Heiterkeit in den allgemeinen Wortschatz aufgenommen worden. Ihm hatte ich es zudem zu verdanken, dass ich seit über sechs Wochen in keinem vernünftigen Bett mehr geschlafen hatte.
    Als Károly mich vor sieben Monaten mit gestochen scharfen Luftaufnahmen aufsuchte, um mir weiszumachen, bei dem darauf zu erkennenden Objekt handele es sich um eine Pyramide, war ich geneigt, seine Zurechnungsfähigkeit in Frage zu stellen. Es war, als käme dieser schnauzbärtige Wicht fünfhundert Jahre nach Kopernikus mit einer Satellitenaufnahme in mein Haus, um zu behaupten, die Erde sei doch eine Scheibe. Obwohl die Aufnahmen, die er vor mir ausbreitete, viel Spielraum für Spekulationen boten (was jedoch mehr an den Nachwehen einer durchzechten Nacht lag), verspürte ich große Lust, ihn vor lauter Empörung über diese Kopfgeburt aus der Wohnung zu werfen. Nur die Tatsache, dass Károly extra aus Rumänien angereist war, um mir das Bildmaterial zu präsentieren, ließ mich zumindest vor körperlicher Gewalt zurückschrecken. Hinzu kam, dass ich mich am Abend zuvor dermaßen zugesoffen hatte, dass jedes zu laute Wort wie Hörnerschall in meinem Schädel dröhnte. Kurz gesagt: Károly hatte sich für seinen Besuch und seine Pyramiden-Spinnereien den völlig falschen Tag ausgesucht. Also reservierte ich ihm ein Hotelzimmer in der Stadt, empfahl ihm eine Bootsfahrt auf dem River Clyde und verabredete mich für den Nachmittag des nächsten Tages mit ihm.
    Károly fiel in den folgenden vierundzwanzig Stunden weder dem schottischen Essen zum Opfer noch wurde er wegen Unzurechnungsfähigkeit verhaftet. Zur verabredeten Stunde stand er vor meiner Haustür, und die Luftaufnahmen hatte er ebenfalls wieder dabei. Kein Zweifel, er meinte es ernst!
    Sichtlich nüchterner als am Vortag, erklärte ich mich bereit, das Bildmaterial noch einmal zu studieren und mit Károly über eine von ihm angestrebte Ausgrabung zu diskutieren. Ich gab dem Fotografen eine Chance, mich zu überzeugen.
    Auf den zweiten Blick ließen die Aufnahmen tatsächlich kühne Vermutungen zu, doch diese waren angesichts einer so enigmatischen Kultur wie der altägyptischen derart absonderlich, dass ich mich erst nach tagelangem Abwägen überreden ließ, die Mittel für eine mehrwöchige Ausgrabung zur Verfügung zu stellen, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Károly war damit einverstanden, dass ich als Finanzier das Projekt und er die Grabungen leitete.
    Es folgten vier Monate der Vorbereitung und
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