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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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Turmes krochen und alles absorbierten, was unter ihre aufgedunsenen Leiber geriet. Die Insekten reproduzierten sich jedoch ebenso schnell, wie sie dezimiert wurden. Alles war erfüllt vom Knistern und Schwirren ihrer Myriaden von Beinen und Flügeln.
    Meine Schritte waren nahezu unhörbar; der weiche, feuchte Schimmelteppich auf dem Boden des Korridors schluckte jeglichen Laut. Ein verstohlenes Geräusch, das wenige Meter weiter hinter einer scharfen Biegung erklang, ließ mich innehalten. Nach einigen Sekunden glaubte ich bereits, mich getäuscht zu haben, und ließ den angehaltenen Atem lautlos aus den Lungen strömen. Im gleichen Moment ertönte das Geräusch erneut – ein träges, gleichförmiges Scharren, bald begleitet von einem Keuchen und Knurren, das an die Laute erinnerte, die das Wesen vor der Barriere ausgestoßen hatte. Meine Handknöchel traten weiß hervor, als ich die Eisenstange fester umklammerte. Das Metall in meiner Faust fühlte sich heiß an. Ich holte tief Luft und näherte mich langsam der Korridorbiegung. Allerdings achtete ich dabei nicht auf den Boden – und auf das handgroße Insekt, das dort kauerte. Knirschend zerplatzte die Kreatur unter meiner Fußsohle.
    Augenblicklich erstarb das Knurren hinter der Kurve. Ich schrie auf, holte mit der Stange aus und schlug sie hart gegen die Mauer, dreimal, viermal, bis sie mir durch die Wucht der Aufschläge schier aus den Händen gerissen wurde. Ihr metallisches Dröhnen schallte verräterisch laut durch die Flure. Ehe der letzte Ton verklungen war, hob ich die Waffe mit beiden Händen weit über den Kopf und stürzte nach vorn, bereit, alles zu zerschmettern, was sich mir entgegenstellte.
    Der Gang hinter der Biegung führte zur Galerie. Schwere Bronzelüster hingen wie erstarrte Klauen von der Decke herab, an den Wänden vergammelten die Überreste von Gemälden und Gobelins. Von den Insekten und Schwämmen blank genagt, lagen Fragmente menschlicher Skelette auf dem Boden verstreut; Handknochen, Rippenkäfige, Becken, Wirbelsäulen, Schädel …
    Flüchtig erkannte ich ein unförmiges, dunkles Etwas, das auf einer Vielzahl von Armen und Beinen davonrannte; ein Gebilde aus Käfer- und Spinnenbeinen, das einen sackartigen, pelzbedeckten Körper hinter sich herschleifte. Ein widerlicher Gestank wehte durchs Treppenhaus, abgesondert aus zahllosen Drüsen seines schwarzen, unförmigen Leibes. Heulend hetzte das Wesen abwärts und erzeugte einen Lärm, als poltere eine schwere Kiste die Treppe hinab. Es sah sich nur einmal um, warf mir einen unergründlichen Blick zu und war einen Lidschlag später verschwunden. Als sich das letzte Echo seiner Flucht in der Tiefe verloren hatte, senkte ich meine Waffe und lehnte mich mit hämmerndem Herzen gegen die Wand. Etwas nässte meinen Rücken, warm und klebrig, und zwang mich, mich umzudrehen.
    Von der Mauer troff breiiges, dunkelrotes Blut, formte ein vertrautes Symbol, bei dessen Anblick sich ein stechender Schmerz in meiner Brust ausbreitete. Etwas, das niemals fähig sein würde, zu leben, fing an, sich wieder in mir zu regen, begann umherzukriechen, in dem sinnlosen Versuch, an die Oberfläche zu gelangen. Sein blutiges Stigma rief mir in Erinnerung, wie alles begonnen hatte. Es verhöhnte die Schlange, die geglaubt hatte, sie sei stärker als der Drache …

 

     
     
     
    Der Tag, der geht, ist besser als der Tag, der kommt.
     
    Altägyptisches Sprichwort

 

     
     
    Ich bäumte mich auf und rang nach Luft. Quälend langsam ließ der stechende Schmerz in meiner Brust wieder nach. Eine Weile blieb ich reglos liegen, lauschte dem Gesang der Arbeiter und dem vertrauten Geräusch der Schaufeln und Spitzhacken, dann öffnete ich die Augen. Ein orangerotes Glühen fraß sich durch meine Sehnerven und explodierte in meinem Hinterkopf. Stöhnend fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und massierte die geschlossenen Lider. Als ich die Augen vorsichtig ein zweites Mal öffnete, war das Licht nicht mehr ganz so grell und ließ einzelne Formen und Umrisse erkennen.
    Es war hell draußen. Ich lag in einem geräumigen Zelt, das von der Wüstensonne in einen Backofen verwandelt wurde, und wünschte mir nichts sehnlicher als einen Schluck Eiswasser. Alles an mir klebte vor Schweiß. Blinzelnd sah ich mich um und erkannte drei weitere Personen, die mich wachsam beobachteten.
    »Was ist los?«, krächzte ich. »Was schaut ihr mich so an?« Meine Stimme klang, als hätte ich einen Werkzeugkasten verschluckt.
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