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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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Stollen zu gehen. Es war heller Nachmittag, mörderisch heiß und trocken. Die Sonne stand zwar nicht mehr im Zenit, aber das tat den klimatischen Bedingungen in der Reg keinen Abbruch. Die Wüstenluft war so dick, dass man sie hätte durch die Gegend schieben können. Von meinem Zelt bis zum Eingang in die Pyramide waren es gerade mal zweihundert Meter, aber der Weg führte unentwegt über Geröll bergauf. Als wir im Halbschatten des Überzeltes, das man vor dem Eingang errichtet hatte, ankamen, fühlte ich mich wie nach einem Gewaltmarsch. Meine Kehle brannte und war staubtrocken. Zudem hatte ich das Gefühl, die Sohlen meiner Schuhe seien unterwegs geschmolzen.
    Ein halbes Dutzend Arbeiter grub hier mit Pickeln und Harken am Fuß der Pyramide oder unten im Stollen. Andere hievten Eimer um Eimer mit Erdreich und Geröll aus dem Eingangsschacht. Eine Kette aus Trägern schlängelte sich den Abhang hinunter, die meisten wie Rahmed und Mohad mit Turban oder Ghutra, weiten Gewändern und blütenweißen Dishdaschas. Andere, die weniger Wert auf traditionelle Kleidung legten, trugen Baseballmützen und T-Shirts. Unten im Lager durchsiebten zwei Arbeiter den eintreffenden Inhalt auf mögliche Fundstücke. Alles verlief wie einstudiert, fast so, als wären diese Menschen von den Pharaonen für das Schleppen von Steinen erschaffen worden. Allerdings wäre ich noch viel zufriedener, wenn dieses Volk bei der Arbeit nicht ständig singen würde.
    Außer den Bruchstücken einer Kanope hatten wir bisher keine Artefakte im Stollen gefunden, und die Gefäßscherben waren gut und gerne sechstausend Jahre jünger als das Bauwerk selbst. Der Eingang in die Pyramide glich mehr dem einer Klufthöhle. Ein etwa anderthalb Meter hoher und einen Meter breiter Spalt fiel fast fünf Meter steil ab wie eine Rutschbahn. Von dort führte der mannshohe, teilweise noch mit Schutt gefüllte Stollen schnurgerade in die Tiefen des Bauwerks.
    Die Luft unten im Gang war anfangs so schlecht gewesen, dass die Arbeiter es nur eine Stunde am Tag im Inneren aushielten, was die Grabungen erheblich verzögert hatte. Schon nach einer halben Stunde klagten alle über derart heftige Kopfschmerzen, dass zehn Gruppen gebildet werden mussten, von denen jede nach ihrer einstündigen Grabungsschicht einen Tag Zeit hatte, sich zu erholen. Der Stickstoffgehalt im Stollen war so enorm, dass brennende Kerzen nach zwanzig Minuten erloschen. Nun tuckerte ein Kompressor außerhalb des Ganges, der über einen dicken Schlauch Frischluft in die Tiefe pumpte. Um nicht auf dem staubigen Grund der ›Rutschbahn‹ den Halt zu verlieren, führte ein Seil in die Tiefe, an dem man sich festklammern konnte, während man auf dem Hosenboden hinabglitt. Zu viert standen wir schließlich mit leistungsstarken Taschenlampen ausgerüstet in der Enge des Stollens.
    »Die Kammer ist noch unberührt«, informierte mich Mohad. »Eine massive, versiegelte Tür versperrt den Eingang.«
    »Ihr habt sie nicht geöffnet?«
    »Nein, alles ist noch so, wie wir es gestern vorfanden.«
    Károly sagte: »Wir waren der Meinung, du solltest dabei sein, wenn wir hineingehen.« Er schaltete seine Lampe an und drang in den Stollen vor.
    Ich tat es ihm gleich und folgte ihm, geehrt, bewegt und aufgeregt. Hinter mir lief Rahmed, sein Bruder bildete die Nachhut. Die Luft war trotz des eingeleiteten Sauerstoffs immer noch muffig und roch zudem nach Schimmel, Fäulnis und so etwas wie Essig oder Ameisensäure.
    »Was stinkt hier so?«, fragte ich, ohne den Kopf zu heben.
    »Ammoniak«, erklärte Rahmed.
    Unsere Stimmen und Schritte klangen dumpf. Ich schielte immer wieder zur Decke, ob sich in den Ritzen und Spalten irgendetwas verräterisch ringelte, konnte aber nichts entdecken.
    »Wir haben das Felsgestein mit Ammoniumchlorid abgespritzt«, erklärte Rahmed, dem meine besorgten Blicke wohl nicht entgangen waren. »Hier drin kriecht bestimmt kein Wurm mehr herum.«
    »Dafür hat sich Ammoniak gebildet«, warf Károly ein. »Wir waren genötigt, einen der Generatoren aus der Zeltküche zu holen, um Atemluft in den Gang zu pumpen. Aber irgendwie scheinen die Wände den Sauerstoff zu absorbieren und nur das zurückzulassen, was dem Menschen schadet. So, hier wären wir!« Er hielt inne und beleuchtete eine behauene Felsplatte, die das Weiterkommen verhinderte.
    Ich zwängte mich an ihm vorbei und ließ mich mit pochendem Herzen auf die Knie nieder, um das Siegel zu betrachten. Károly, Rahmed und Mohad bildeten
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