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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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Das fettleibige Wesen, das in der einen Klaue einen gewellten Stab oder eine zweite, kleinere Schlange trug, und in der anderen etwas, das aussah wie ein tragbarer Fernseher, ähnelte einem Theropoden mit Schlangenhals und ungewöhnlich langen Vorderarmen. Bei dem Gegenstand, den es trug, konnte es sich auch um eine Lade oder eine Schrifttafel handeln, die etwas zu dick dargestellt war. Oder ein … – ich sah genauer hin – ein Buch?!
    »Ausgeschlossen!«, protestierte Rahmed, als ich meine Vermutung aussprach. »Ich glaube, euch Europäern tut die Atmosphäre hier unten nicht gut. Bücher, die von Sauriern getragen werden, Pyramiden einer fremden Kultur, die plötzlich ägyptisch sein sollen. Womöglich erwartet ihr noch, dass wir hinter der Tür eine Sternwarte mit Spiegelteleskop entdecken.«
    »Warum eigentlich nicht?«, schnappte Károly. »Ich frage mich, wieso du dich eigentlich so aufregst. Hast du Angst davor, dein Weltbild korrigieren zu müssen?«
    Einige Zeit lang hörte man nur das gleichmäßige Zischen des Luftschlauches, der irgendwo hinter uns sein kostbares Atemgut in den Stollen entließ. Der Schweiß rann in Strömen über unsere Körper, denn zum stickigen Klima im Gang gesellte sich die heiße Wüstenluft, die vom Kompressor heruntergepumpt wurde.
    »Was ist mit den Atemgeräten?«, fiel mir ein.
    »Sie liegen oben«, antwortete Mohad.
    »Geh sie bitte holen! Die Tür wird nicht aufgebrochen, ehe nicht für jeden eine Maske bereitliegt.«
    »Wir sollten alle mit zurück«, meinte Rahmed. »Mein Bruder kann unmöglich vier Sauerstoffflaschen tragen. Zudem liegen alle Werkzeuge am Ende der Rutsche.«
    Nachdem sich jeder von uns ein Atemgerät über die Schulter gehängt hatte, begaben wir uns mit Hämmern, Meißeln, einer handlichen Spitzhacke und einem Eimer voll feuchter Tonerde zur Tür zurück.
    Rahmed bestand darauf, ein traditionelles Gebet zu sprechen, bevor wir mit der Arbeit begannen. Ich beherrschte seinen altägyptischen Dialekt nicht gut genug, um es zu verstehen, meinte aber, die Namen Anubis, Osiris und Apophis herauszuhören. Mein Blick klebte während der gemurmelten Oration auf dem Siegel. Wenn der Stickstoffgehalt bereits hier im Gang in derartiger Konzentration auftrat, war die Luft im dahinter liegenden Raum wahrscheinlich nur bedingt atembar. Womöglich herrschte in der Grabkammer – falls es denn eine war – ein derart ungesundes Gasgemisch, dass wir der Reihe nach umfielen, ehe wir wussten, wie uns geschah.
    In erster Linie galt unsere Vorsichtsmaßnahme, Sauerstoffmasken anzulegen, einer weitaus heimtückischeren Gefahr; einem Fluch der Pharaonen mit dem klingenden Namen aspergillus niger. Es war ein Schimmelpilz, dessen Sporen bis zu viertausend Jahre überlebten und die einzuatmen tödliche Folgen haben konnte, sofern der Pilz in der Lunge zu wuchern begann. Nebenbei führte er zu Koptischer Krätze, einem äußerst schmerzhaften Ausschlag.
    Aus Erfahrung vermutete ich, dass aufgrund von Mikroben in der Kammer jenseits der Tür ein geringer Überdruck herrschte. Da Schimmelpilzsporen extrem leicht sind und vom kleinsten Luftzug in die Atemluft geweht werden, würde uns ein wahrer Orkan von Sporen entgegenschlagen, sobald wir ein Loch in den Fels gestemmt hätten.
    Gerüstet wie für einen Giftgasangriff, kauerten wir vor dem Siegel und zogen mit Ölkreide zwei Handbreit über dem Relief eine Markierungslinie. Dann überdeckten wir es mit Tonerde und schützten es zusätzlich mit Holzlatten vor herunterfallenden Gesteinsbrocken. Schließlich setzten Rahmed und Károly Hammer und Meißel an und begannen das obere Drittel der Wand zu bearbeiten. Das Gestein schien im Lauf der Jahrtausende porös geworden zu sein, denn mit nur wenigen Schlägen hatte Rahmed eine ansehnliche Mulde herausgebrochen. Während er sich mit Károly durch den Fels arbeitete, sorgte ich mit Mohad für die Beleuchtung. Wie Pistolenschüsse knallten die Hammerschläge durch den Stollen, und unsere Ohren waren von dem Gedröhne bald nahezu taub.
    »Sobald ihr den geringsten Luftzug spürt, gebt ihr Bescheid«, warnte ich. Jeder von uns trug eine leichte Atemschutzmaske, die die staubige Luft und die Sporen filterte. Sollte sich der Raum hinter der Tür als begehbar erweisen, würden wir für eine erste Erkundung die schwereren Sauerstoffmasken anziehen, die wir in einigen Metern Entfernung deponiert hatten.
    Die Scheintür maß etwa einhundertzwanzig Zentimeter in der Breite und knapp zwei Meter in
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