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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle
Autoren: Andreas Gruber
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PROLOG
     
    Für die meisten Wiener ist der Besuch des Flohmarkts an der Kettenbrückengasse nichts weiter als eine flüchtige Begegnung, ein Abtauchen in eine andere Welt, die von schmuddeligen Büchern, Postkarten oder anderem Trödel dominiert wird. Doch nicht für Peter Hogart. Für ihn war der Flohmarkt ein nostalgischer Ruhepol, wo er nahezu jeden Sonntag seinen eigenen Stand aufstellte, um der Routine seines Berufs zu entfliehen. An diesem Tag konnten ihn seine Auftraggeber gernhaben. Er hatte die Nase voll von vertrackten Betrugsfällen, mit denen ihn die Versicherungsriesen der Stadt betrauten, da ihre eigenen Spürnasen keine Fortschritte erzielten.
    Andere Leute versuchten es mit Yoga, Spaziergängen oder Aquarellmalerei an den Wochenenden, doch Hogart entspannte sich am besten, wenn er mit Autogrammen und Filmplakaten aus den Fünfzigerjahren handelte oder Jazz-Singles mit speckigen Hüllen auf der Verkaufsfläche seines Standes platzierte. Seit einem halben Jahr versuchte er, die Edgar-Wallace-Videosammlung seines Bruders zu verkaufen, und reduzierte den Preis Woche für Woche um ein paar Cent. Doch niemand interessierte sich für die Kassetten. Letztendlich ging es ihm nicht darum, das große Geld zu verdienen, was mit diesen Raritäten - andere nannten sie Krempel - ohnehin nicht möglich war. Er suchte den Kontakt zu anderen Verrückten, die ihre Freizeit in den engen Reihen zwischen Hunderten Ständen verbrachten - besonders an einem heißen Frühlingstag wie heute, wenn die Luft über dem Asphalt flimmerte.
    Hogarts Sonnenbrille steckte in seinem langen, dunklen Haar, wobei der silberne Rahmen mittlerweile zu den graumelierten Schläfen passte. In den Sandalen, Jeans und dem ausgewaschenen Jazzland-T-Shirt wirkte er nicht wie ein freiberuflicher Versicherungsdetektiv, sondern wie jemand, der jede freie Minute in Antiquariaten und auf Tauschbörsen verbrachte, sich auf Kurzfilmfestivals herumtrieb und gelegentlich Artikel über die Kunstszene verfasste. Doch von echter Kunst verstand er nichts. Diese Abteilung befand sich eine Reihe weiter, wo sich Jugendstilvasen, barocke Bilderrahmen und handgeschnitzte Jesusstatuen aneinanderreihten. Dort wurden oft Preise bis zu eintausend Euro ausgehandelt, dementsprechend sah das Publikum aus, das sich in dieser Ecke herumtrieb. Allerdings passte der Junge mit den strohblonden Haaren, den Sommersprossen und den geflickten Shorts nicht dazu. Der zehnjährige Knirps konnte sich bestimmt keinen Biedermeiertisch leisten. Trotzdem zwängte er sich schon seit Minuten zwischen den Leuten hindurch, während sein Blick immer wieder vom Tresen zum Standbesitzer wanderte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er etwas klauen würde. Der Platz war optimal. Ein paar Meter weiter begann der Treppenabgang zur U-Bahnstation. Von Weitem hörte man die Waggons heranscheppern, das Knirschen der Gleise und das Quietschen der Bremsen. Niemand würde den Jungen erwischen, falls er sich rechtzeitig unter die Fahrgäste mischte.
    Hogart starrte zur Station. Soeben kamen zwei Männer, die er nur zu gut kannte, die Treppe hoch. Sie marschierten in die Richtung seines Standes. Der schlanke, hochgewachsene im Anzug wirkte wie ein Lackaffe, der kleinere im ungebügelten Hemd wie jemand, den kürzlich seine Frau verlassen hatte. Beide waren etwa in Hogarts Alter, knapp über vierzig, und beide passten ebenso wenig in das Ambiente des Flohmarkts wie der Junge. Jeder, der auch nur ein wenig darin geübt war, Menschen zu beobachten, würde bemerken, dass sie sich weniger für die Waren auf den Tischen als für die Menschen interessierten. Ihre Blicke wanderten von einem Augenpaar zum nächsten, als suchten sie nach jemand - und Hogart ahnte bereits, um wen es sich dabei handelte. Er machte sich unwillkürlich kleiner. Im gleichen Moment zischte der Blondschopf des Jungen an seinem Stand vorüber, worauf sämtliche Videokassetten vom Tisch polterten. Beim Vorbeilaufen hatte sich diese Kröte doch tatsächlich einen der Edgar-Wallace-Filme gegriffen.
    Während der Bengel davonlief, schob er sich das Video unter das T-Shirt. Wie ein Pfeil schoss er durch die Menge, die auseinanderstob, als laufe ein tollwütiger Terrier durch die Reihen. Für einen Augenblick überlegte Hogart, dem Jungen hinterherzulaufen. Vielleicht sollte er sogar den Stand verlassen, und sobald er wiederkam, hatte der Komplize des Jungen womöglich seine gesamten Tische leer geräumt. Hogart atmete tief durch. Pfeif drauf! Er
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