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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten
Autoren: Christophe André
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versuchte ich, Antoine mit den Methoden der traditionellen Verhaltenstherapie zu helfen, die ich damals praktizierte. Ich schlug ihm ein Entspannungstraining vor, aber seine Versuche, Entspannung zu üben, hatten nur noch stärkere Spasmen zur Folge. Er verkrampfte sich sichtbar im Entspannungssessel. Nach drei Sitzungen mussten wir das Vorhaben aufgeben.

    An den Gedanken arbeiten
    Wir versuchten anschließend, die Gedanken zu finden, die Antoine möglicherweise begrenzten. Ich lud Antoine im Gespräch ein, diese Gedanken infrage zu stellen und sie an der Realität zu messen. War er für die anderen wirklich eine Last? Welche Beweise hatte er, dass das tatsächlich stimmte? Aber die einzige Wirkung dieser Arbeit schien darin zu bestehen, Antoine noch ein wenig mehr davon zu überzeugen, dass seine depressiven Gedanken wohl begründet waren.
    Unsere therapeutische Arbeit ging schleppend voran. Da Antoines Probleme von einer organischen Ursache stammten, die vielleicht eines Tages behoben werden würde, klammerte er sich an den Gedanken, dass der Nutzen einer psychologischen Arbeit in der Zwischenzeit lediglich darin bestand, sich vorübergehend alles von der Seele zu reden. Für ihn war die Therapiestunde ein Ort, wo er »seinen Müll loswerden« konnte. Und Antoines Müllberg wuchs zusehends. Es stimmte mich ein wenig traurig, dass er die potenzielle Nützlichkeit unserer Arbeit von vornherein so gering einschätzte. Mir fiel es schwer, mich mit dem Gedanken abzufinden, dass unsere Gespräche Antoine nicht helfen könnten, Fortschritte zu machen – selbst mit seiner Behinderung.
    Ich fuhr also fort, Antoine eine aktivere Therapie vorzuschlagen als die bloße »Quasseltherapie«, in der wir gelandet waren. (Dieser Begriff, der zu einem geflügelten Wort zwischen uns wurde, war mir eines Tages entschlüpft, als ich Antoine frustriert sagte, dass unsere Arbeit keine Richtung habe.) Er hegte weiter Zweifel. Schließlich, so hielt er mir entgegen, könne die Psychotherapie keine neurologischen Störungen lösen. Unsere Stunden wurden für ihn wie auch für mich zu einer frustrierenden Angelegenheit. Antoines Irritation war deutlich zu spüren, und manchmal wusste ich nicht, was ich tun sollte, um sie zu entschärfen. Allmählich glaubte ich, dass sich hinter seinem Widerstand ein bestimmter Gedanke verbarg: Wenn er mithilfe unserer Arbeit Fortschritte machte, wäre das die Bestätigung des Verdachts, den die Ärzte in seinen Augen hegten: dass sein Problem psychosomatisch sein könnte. Antoine war es hingegen wichtig, dass man seine Situation und seine Schmerzen bedingungslos als etwas Reales anerkannte.
    Sich mit dem Patienten verbinden
    Ich sah nicht, welchen Fortschritt es ihm bringen sollte, in meiner Gegenwart laut seinen Gedanken nachzuhängen.
    Also beschloss ich, sein Erleben, die Fakten seines Problems, das Ausmaß seines Leidens und die Intensität seiner Frustration als real zu akzeptieren. Ich gab zu, dass unsere Arbeit die organische Störung nicht lösen könne, und bemühte mich so gut wie möglich die enormen Schwierigkeiten seiner gegenwärtigen Situation anzuerkennen – Schwierigkeiten, die sich durch die vielen enttäuschten Hoffnungen, die seine medizinische Behandlung kennzeichneten, noch verstärkten. Mein Ziel war, wieder Zugang zu Antoine und seinem Erleben zu finden. Dazu musste ich bereit sein, mich der Verzweiflung seiner Situation zu öffnen. Indem ich diese Verzweiflung selbst empfand, indem ich sie akzeptierte und ihm spiegelte, konnte ich die Verbindung zu ihm wiederherstellen. Der Strom floss, und er floss immer besser. Jedes Mal, wenn es uns gelungen war, wieder miteinander in Kontakt zu treten, bat ich Antoine geduldig, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass unsere Arbeit ihm helfen könne, anders mit der Situation, so wie sie war, umzugehen und vielleicht auch den Weg zu einem erfüllteren Leben wiederzufinden. »Mit diesem Hals, unmöglich!«, erwiderte er stets. »Im Übrigen sollten Sie wissen, dass ich mich lieber erschießen würde, wenn das so bleiben sollte.«
    Es machte mich zutiefst traurig, als ich sah, wie dieser Mann, dessen Situation mich so stark berührte, in seinem Leiden stecken blieb. Unsere Sitzungen machten mir schwer zu schaffen, und ich gebe zu, dass ich manchmal Schwierigkeiten hatte, dem roten Faden seiner zahlreichen Klagen
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