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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten
Autoren: Christophe André
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Rentner in der Nachbarschaft an, ihn bei der Planung eines kleinen Gewerbes zu beraten, von dem dieser träumte. Mehrere Wochen besuchte er den Mann regelmäßig, um mit ihm sein Projekt durchzugehen.
    Allmählich spürte ich, wie das Klima in unseren Sitzungen leichter wurde. Mir fiel es weniger schwer, dem Gespräch zu folgen. Auch Antoine wirkte in unseren Gesprächen engagierter. Sein körperlicher Zustand hatte sich allerdings nicht sichtbar gebessert, und die medizinische Ungewissheit blieb. Er wartete auf einen möglichen neurologischen Eingriff, aber ohne irgendeine Sicherheit. Trotzdem klagte Antoine weniger. Er schien sichtlich mehr gewillt, seine Gedanken infrage zu stellen; er war offener dafür, sie als Gedanken zu betrachten, statt ihnen blind zu gehorchen. Auch in unseren Gesprächen verteidigte er sie weniger. So entstand ein Freiraum zwischen uns, eine neue Art der Interaktion. Was mich am meisten frappierte, war, dass seine persönlichen Entscheidungen weniger von rationalen Erwägungen als vom Herzen getragen waren. Auch die Beziehung und der Kontakt zwischen uns wurden dadurch besser.
    Trotz der Depression und der düsteren Gedanken hatte Antoine die entscheidende Wahl getroffen, nicht den Kontakt zu seinen Freunden abzubrechen. Er telefonierte oft mit ihnen und machte mit ihnen regelmäßig Ausflüge. Am Anfang unserer Arbeit schenkte Antoine gern Gedanken Glauben, die ihm sagten, dass keiner seiner Freunde den Kontakt mit ihm aufrechterhalten wolle, so behindert wie er war. Aber je mehr die Therapie fortschritt, desto mehr tat er Dinge, die ihm erlaubten, der Freund zu sein, der er sein wollte. Antoine war für seine Freunde da, wenn sie in Schwierigkeiten steckten. Ich war besonders berührt, als er mir eines Tages erzählte, dass er bereitwillig eine lange Busfahrt auf sich genommen hatte, die ihm starke körperliche Schmerzen bereitete, um einen Freund zu besuchen, der durch eine schwere Ehekrise ging.
    Langsam verschwand Antoines Depression. Unsere Sitzungen wurden immer herzlicher und konzentrierten sich auf die Dinge, die er in Richtung seiner Werte unternahm. Eines Tages erwähnte er, dass er auf ehrenamtlicher Basis Kindern mit Schulschwierigkeiten helfen wolle. Sein Angebot wurde jedoch abgelehnt, da er nicht den notwendigen Hochschulabschluss besaß. Irgendwann sprach einer seiner Freunde von einer kooperativen Reparaturwerkstatt für Zweiräder. Antoine engagierte sich dort. Er schätzte es, dass er dort seine mechanischen Kenntnisse einbringen konnte, und träumte auch davon, zusammen mit Freunden ein Atelier für Modeschmuck aufzumachen. Um seinem Körper etwas Gutes zu tun, beschloss er, die Zeit, die er vor dem Computer verbrachte, zu reduzieren – und er beobachtete danach eine Abnahme der Muskelverspannungen, die allerdings nicht ganz verschwanden und weiterhin schmerzhaft waren.
    Mit dem Wichtigen in Kontakt treten gibt dem Leben wieder Sinn
    Heute erscheint Antoine wie verwandelt. Dennoch hat sich an seinem Zustand nichts Fundamentales verändert. Er ist infolge seines spasmischen Schiefhalses, der seine Körperhaltung beeinträchtigt und ihm starke Schmerzen bereitet, immer noch schwerbehindert. Seine körperlichen Fähigkeiten sind dadurch weiter sehr eingeschränkt. Mehr als drei Jahre nach dem Auftreten der Erkrankung bleibt die Ungewissheit bestehen, ob er je gesund werden wird. Doch heute hat Antoine wieder den Weg eines Lebens eingeschlagen, das sich lohnt.
    Als ich ihn fragte, was ihn in unserer Arbeit am meisten angesprochen habe, antwortete er auf der Stelle: »Von den Werten zu sprechen und von dem, was wirklich wichtig für mich war.« Diese Arbeit ist lange gereift, und zusammen mit der Arbeit der Distanzierung und der kognitiven Defusion erlaubt sie Antoine, sich dafür einzusetzen, den ihm wichtigen Werten im Rahmen seiner Möglichkeiten Ausdruck zu verleihen ungeachtet dessen, was seine Gedanken ihm eingeredet haben.
    Die Arbeit an den Werten, eine wirksame Methode
    Ich habe mich entschieden, von dieser Erfahrung zu berichten, weil sie veranschaulicht, wie sehr die Arbeit an den Werten geeignet ist, Menschen mit starkem chronischem Leiden und unsicherer Prognose aus der Sackgasse zu holen. In Berührung mit dem zu kommen, was ihm wirklich wichtig ist, kann jedem Menschen die Chance geben, den Weg eines sinnerfüllten Lebens wiederzufinden. Diese Arbeit an den Werten, die aus
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