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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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gelüstete es nach ihm, und er fand heraus,
daß Ihr ihm ein Liebesgedicht gewidmet hattet. Wir haben es
gesehen. Vermutlich versuchtet Ihr, den Jungen zu verführen
— Gott weiß, was sich wirklich zugetragen hat. Sagt uns
nur, Pater: Ist er gesprungen, weil er Angst hatte, oder habt Ihr
ihn gestoßen?« 
    Der Priester starrte
ihn wutentbrannt an, antwortete aber nicht.
    »Ich denke, Sir
Thomas kannte die Wahrheit, wagte aber nicht, Euch offen zu
bezichtigen. Schließlich hatte er sich der Sünde der
Sodomie ebenso schuldig gemacht wie Ihr. Natürlich wart Ihr
als Kaplan mit den Geheimnissen anderer vertraut. So benutzte Sir
Thomas die Holzschnitzerei für seine Rache, die Tafel, die
für den Prunkwagen gedacht war und später in der
Hauskapelle hängen sollte.« Athelstan warf Sir Richard
einen Blick zu. »Ihr erinnert Euch an das Schnitzwerk? Was
zeigte es?«
    »Einen
Schuhmacher, der von Teufeln weggeschleppt wird.«
    »Habt Ihr Euch
je die Füße des Schuhmachers
angeschaut?«
    »Nein.«
    Cranston schlug seinen
Stiefelabsatz auf den Boden. »Der arme Pater Crispin - immer
humpelt er umher, und der Klumpfuß ist sein Panier! Aber wenn
es ihm beliebt, zieht er sich die Stiefel mit den höheren
Absätzen an - und siehe da, er kann gehen wie wir alle. So ist
es doch, oder nicht, Pfaffe? Ihr wart reiten, als Allingham
starb?«
    Pater Crispin tat
Cranstons Anklage mit einem Wimpernschlag ab.
    »Sir John hat
recht.« Athelstan nahm den Faden auf. »Ein Priester kann gehen,
wohin er will: in das Gemach seines Herrn, um eine Schachfigur zu
vergiften, oder mitten in der Nacht zu dem armen Brampton, um ihm
Trost zu spenden, oder nach St. Mary Le Bow, um zu beten ... aber
in der Nacht, als Vechey starb, da verkleidete Pater Crispin sich
als rothaarige Hure und jagte sein Wild in den Bordellen am
Fluß.« Athelstan schwieg und warf Fortescue einen
kurzen Blick zu. »Ich habe Sir John gesagt, es gebe hier mehr
als nur einen Schuldigen. In gewissem Sinn hatte ich recht. In Euch
wohnen zwei Menschen, Pater: der hinkende Priester und der
verschlagene
Mörder.«      
    Das Gesicht des
Oberrichters, bemerkte Athelstan, war so bleich geworden, daß
es schien, als müßte er sich gleich
übergeben.
    »Natürlich,
Crispin«, fuhr Athelstan fort, »hattet Ihr auch einen
Komplizen. Es war jemand, den Ihr an der Tafel Eures Herrn
kennengelernt hattet. Jemand, der Euch wissen ließ, wohin wir
gingen, so daß Ihr gedungene Mörder schicken konntet,
die uns auflauerten. Ihr erinnert Euch an das Evangelium, Pater,
und an den Mann, der behauptete, sein Name sei Legion, weil er von
so vielen Teufeln besessen sei? Mit Euch würde er sich
verstehen, Priester. Ihr habt aus Rachsucht und Habgier gemordet,
aber auch aus schierer, bösartiger Freude an Ränken und
Intrigen.«
    »Was hat das mit
der Holzschnitzerei im Hause Springall zu tun?« unterbrach
Gaunt in scharfem Ton.
    Athelstan sah Sir
Richard an. »Ihr hättet Euch die Schnitzerei genauer
betrachten sollen«, bemerkte er. »Vor allem den
Schuhmacher. Er hat viel Ähnlichkeit mit unserem Pater
Crispin. Auch er hat einen Klumpfuß.«
    Athelstan achtete
nicht auf Lady Isabella, die nach Luft schnappte. Statt dessen sah
er den kleinen König Richard an, der offensichtlich von diesem
Priester fasziniert war.
    Gaunt musterte
unterdessen Fortescue aus den Augenwinkeln.
    »Und, Pater, wer
ist der Schutzheilige der Schuhmacher?«
    Athelstan bewunderte,
wie Crispin die Fassung bewahrte. Kein Muskel zuckte in dem
hageren, gehetzten Antlitz. »Kommt, Pater, Ihr wißt es
doch. Crispin und Crispianius! Die heiligen Brüder. Wir feiern
ihr Fest im Oktober. Sir Thomas wollte Euch verhöhnen. Seine
Beleidigung würde kreuz und quer durch London gefahren werden,
und danach sollte sie Euch verspotten, wann immer Ihr die kleine
Kapelle im Hause Sir Thomas’ beträtet. Eines Tages
würde jemand etwas bemerken. Allingham war der erste, nicht
wahr, Pater? Er wurde nachdenklich und hatte auch nicht vergessen,
daß Vechey so gebannt von der Zahl einunddreißig
geredet hatte.«
    Cranston rülpste
und stand unaufgefordert auf, als hätte er vergessen,
daß der junge König anwesend war.
    »Mein
Schreiber«, verkündete er großartig, »hat
ganz recht. Also habt Ihr, der meisterliche Giftmischer, wieder
zugeschlagen. Euer Gift habt Ihr bei Foreman gekauft und es mit
Bedacht so gemischt, daß der Weinbecher beißend und
widerlich roch und daß Brampton die Schuld bekam. Aber mit
Allingham war die Sache
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