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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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Sie
tranken wie zwei Ausgedörrte. Sie hörten die Glocke
Mitternacht schlagen und sahen die Sterne aufgeben, bevor sie in
die Stadt und die sichere Wärme von Cranstons Haus
zurücktaumelten. Lady Maude schimpfte, sie hätte ja schon
gehört, daß ein gutes Saatkorn gelegentlich zwischen die
Domen falle, aber noch nie, daß ein braver Mann in
Gesellschaft eines Ordensbruders solcher Zügellosigkeit
verfalle! Cranston befahl ihr, den Mund zu halten und
verkündete, er werde das Ale aufgehen und Dominikaner werden.
Er grinste immer noch selig, als er einschlummerte. Lady Maude
kniete neben dem Schildkrötenleib ihres Gemahls nieder und
wuchtete ihn zurecht, damit er für die Nacht bequem liege.
Dabei redete sie leise und summte vor sich hin, als sei er Abaelard
und sie Heloise. Die Liebe ist seltsam, dachte Athelstan, und hat
so viele Formen. Spät am nächsten Morgen, mit dickem Kopf
und um einiges weiser, wanderte Athelstan zu seiner Kirche. Er las
die Messe ohne Gemeinde, sang seine Morgengebete und fragte sich,
was wohl aus Benedicta geworden war. Er hatte nicht den Mut gehabt,
Lady Maude zu fragen. Eben brachte er einen Psalm zu Ende, als die
Tür sich hinter ihm öffnete. Er wußte, daß
Benedicta hinter ihm stand, wie sie es immer tat; hinten in der
Kirche an eine Säule gelehnt. Leise rief sie seinen Namen,
einmal, zweimal, aber Athelstan drehte sich nicht um. Er hörte
ihre Schritte, und die Kirchtür schloß sich leise hinter
ihr. Der Bruder dachte an die Worte des Dichters: »Wenn ein
Herz zerbricht, zerbersten Welten ohne
Laut...«   
    *
    Pater Prior kam zu
Besuch, ganz plötzlich, wie ein Dieb in der Nacht. Dabei war
er durchaus höflich: Er hatte zuvor Sir John Cranston
aufgesucht und sich erkundigt, ob Athelstan Fortschritte machte,
und der gute Coroner hatte ihn über die London Bridge nach
Southwark begleitet, damit er es selbst sehe. Außerdem war
Athelstan nicht vollkommen unvorbereitet; Cranston hatte Walt, den
Sohn des Henkers, hergeschickt, um ihn von der geplanten Ankunft
des Priors zu informieren. Athelstan trieb in aller Eile ein paar
Pfarrkinder zusammen, ein nicht allzu schwieriges Unterfangen, da
immer welche an der Kirchen treppe herumlungerten und mit ruchlosen
Dingen beschäftigt waren.
    Cecily, die Hure,
schrubbte die Treppe, während Watkin sein Bestes tat, den
Schmutz aus dem Kirchenschiff zu fegen und die Weihwasserbecken zu
füllen, aus denen die Kinder immer tranken. Athelstan hatte
vor kurzem in einer Predigt davon gesprochen, daß alle
Menschen Gottes Blumen seien, manche Rosen und manche
Glockenblumen. Er hatte gehofft, seine Gemeinde davon
überzeugen zu können, daß Gott sie mit all ihren
Unterschieden liebe und ein Garten voller Rosen zwar vielleicht
sehr schön, aber auch sehr langweilig sei. Die Predigt war ihm
schwergefallen, denn Benedicta blieb beharrlich vor ihm auf den
Knien und schaute mit ihren wunderschönen Augen zu ihm auf.
Sie hätte der heiligen Agatha geglichen, wären da nicht
die Lachfalten um ihren Mund gewesen.
    Endlich kam der Pater
Prior, begleitet von Schreibern, seinem Secretarius, dem Sakristan
und anderen Würdenträgern. Cranston war
stocknüchtern; er saß auf seinem Roß wie
König Salomon, der kommt, Gericht zu halten. Athelstans
Pfarrkinder drängten herbei. Orme, einer der vielen
Söhne, die Watkin hatte, hielt den Pater Prior für den
Papst, aber Cecily verkündete lauthals, es sei nur der
Bischof. Athelstan scheuchte alle weg und führte seine
Gäste in die Kirche, während Crim und Dyke auf die Pferde
achtgaben. Das Gefolge des Priors ergötzte sich an dem, was
ringsum zu sehen war. Dazu brauchten sie nicht lange, und Athelstan
sah wohl, daß der hochnäsige Sakristan für seine
kläglichen Bemühungen, diese Kirche in ein Haus Gottes zu
verwandeln, nur ein Lachen übrig hatte. Aber wen kümmerte
das? dachte Athelstan. Vielleicht solle ihn einmal jemand daran
erinnern, daß alles in einer Krippe begonnen hatte und
daß der Stall in Bethlehem nicht mit prächtigen
Gemälden verziert gewesen war. Pater Prior jedoch war
freundlich; er setzte sich Athelstan gegenüber auf die andere
Kirchenbank und fragte ihn ausführlich nach allem, was er in
den letzten paar Monaten getrieben habe. Cranston saß neben
ihm und starrte zur Decke. Pater Prior hörte dem Bruder bis
zum Schluß zu und nahm dann seine Hand. 
    »Bruder
Athelstan«, sagte er, »wenn du willst, so kannst du
wieder ins Mutterhaus zurückkehren. Deine Arbeit und deine
Buße sind
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