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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen
Autoren: Paul Harding
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tun?«
    »Eine einfache
Frage! Ich würde an der Tür rütteln, ich würde
anklopfen, ich würde hämmern, ich würde
rufen.«
    »Ich danke Euch,
Euer Gnaden. Dame Ermengilde, Ihr habt gehört, wie Pater
Crispin heraufkam, um Sir Thomas an jenem schicksalhaften Morgen zu
wecken. Was geschah da?« Die alte Dame hatte verstanden,
worauf Athelstan mit seinen Fragen hinauswollte, und ihr Gesicht
verlor ein wenig von seinem Hochmut. Ihre Augen wurden
schmal.
    »Ich hörte
ihn heraufkommen. Er drückte die Klinke an der
Schlafzimmertür meines Sohnes herunter. Dann ging er fort, um
Sir Richard zu holen.«
    »Ja, warum denn
nur, Pater?« fragte Athelstan. »Ihr gingt hinauf, um
Euren Herrn zu wecken - er hatte darum gebeten, früh geweckt
zu werden, erinnert Ihr Euch? Ihr gingt also hinauf, wie es jeder
tun würde, Ihr drücktet die Klinke nieder - doch dann
holtet Ihr den Bruder. Warum habt Ihr nicht versucht, Sir Thomas
selbst zu wecken? Ihr wart an der Tür, doch von drinnen war
kein Laut zu hören. Jeder andere hätte jetzt an die
Tür geschlagen und Sir Thomas’ Namen gerufen. Ihr aber
nicht. Ihr gingt sofort wieder, um Sir Richard zu rufen.
Warum?«
    »Weil ich es so
für das beste hielt.« »Aber logisch war es
nicht«, versetzte Athelstan rasch. »Logisch wäre
es gewesen, an die Tür zu hämmern und Sir Thomas’
Namen zu rufen. Das habt Ihr nicht getan. Als hättet Ihr
gewußt, daß da etwas nicht stimmte.«
    Der Priester schluckte
kurz, blickte aber kühl in die Runde. »Was wollt Ihr
damit andeuten, Bruder?«
    »Im Augenblick
will ich noch gar nichts andeuten. Laßt uns ein bißchen
weitergehen. Sir Richard kommt mit anderen Mitgliedern des
Haushaltes die Stiege herauf. Die Tür wird aufgebrochen. Und
drinnen?«
    »Nun«,
antwortete der Priester, »mein Herr, Sir Thomas Springall,
lag im Bett. Vergiftet.«   
    »Und was geschah
dann? Genau?«
    »Ich ging hin,
um mir Sir Thomas anzuschauen.«
    »Nein, das tat
er nicht.« Sir Richard beugte sich vor. »Das tat ich. Ihr kamt wohl mit ins
Zimmer, aber angeschaut habe ich ihn.«
    »Und was tatet
Ihr derweilen, Pater?« wollte Athelstan wissen.
    »Ich stand nur
da.«
    »Nein, Ihr tatet
etwas anderes.«
    »Ach ja. Ich
nahm den Weinbecher und roch daran. Dann ging ich damit zum
Fenster, um mir den Inhalt genauer zu besehen, denn der Geruch war
merkwürdig.«
    »Auf dem Weg zum
Fenster kamt Ihr am Schachbrett vorbei. Und dann?«
    »Ich
erklärte, daß der Becher vergiftet war. Den Rest kennt
Ihr.«
    »Und wie wart
Ihr bekleidet?«
    »Das habe ich
schon erzählt. Ich war draußen gewesen, im
Pferdestall.«
    »Ihr trugt also
Handschuhe? Einen Mantel?«
    »Jawohl.«
    »Ich sage Euch
etwas, Priester«, antwortete Athelstan. »Ihr trugt
diese Handschuhe aus einem bestimmten Grund. Ihr wußtet
nämlich, bevor Ihr die Kammer betratet, daß Sir Thomas
tot war. Dafür hattet Ihr gesorgt. Der Weinbecher war nicht
vergiftet. Ihr habt ihn zum Fenster getragen und das Gift
hineingeschüttet, das Ihr zuvor in Eurem Handschuh verborgen
hattet. Und als Ihr am Schachbrett vorbeikamt, habt Ihr eine Figur
mitgenommen - den Läufer. Warum? Weil er dick mit einem
bestimmten Gift bestrichen war.« 
    Pater Crispins Gesicht
war bleich wir Marmor. Wortlos schüttelte er den
Kopf.
    »So hat es sich
abgespielt«, fuhr Athelstan fort. »Am Nachmittag vor
dem Bankett verwickeltet Ihr Sir Thomas in eine Partie Schach. Ihr
spieltet mit all Eurem Talent und Geschick, und es gelang Euch, Sir
Thomas in die Enge zu treiben. Kurz vor dem Essen wurde das Spiel
abgebrochen. Ihr wußtet, wie sehr Sir Thomas es haßte,
besiegt zu werden; das habt Ihr selbst erwähnt. Er würde
sich auf die nächsten Züge konzentrieren, damit er Euren
Figuren entkommen könnte, wenn das Spiel fortgesetzt
würde. Und nun sage ich Euch folgendes ins Gesicht: Vor dem
Bankett, während alle herunterkamen, seid Ihr, von niemandem
bemerkt, zu Sir Thomas’ Gemach hinaufgegangen. Ihr habt eine
Schachfigur genommen und sie dick mit Gift bestrichen. Später
ging Brampton dann mit dem Weinbecher hinauf. Als das Festmahl
vorüber war, zog Sir Thomas sich zurück und verriegelte
die Tür. Er ging zu seinem Schachbrett und suchte nach der
besten Möglichkeit, aus der Falle zu entrinnen, in die er Euch
gegangen war. Er nahm den Läufer, die bedrohte Figur, in die
Hand, stellte sie hierhin und dorthin und suchte nach einem Ausweg.
Und wie jeder, der ratlos ist, legte er die Finger an die Lippen.
Er ahnte ja nicht, daß er sich jedesmal,
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