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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Autoren: H kan Nesser
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nicht abgeschlossen war. Sie öffnete die Tür. Streckte die Hand aus und knipste die Deckenlampe im Flur an.
    Er lag direkt vor der Tür. Auf dem Rücken, die Füße fast auf der Fußmatte. Seine weiße Hemdbrust war zum überwiegenden
Teil dunkelrot, wie auch der normalerweise helle Kiefernboden unter ihm. Sein Mund war weit aufgerissen, und die Augen schienen auf einen Punkt irgendwo an der Decke zu starren. Der linke Unterarm lehnte gegen die kleine bauchige Mahagonikommode für Handschuhe und Schals, so als würde er die Hand ausstrecken, um auf eine Frage in der Schule zu antworten. Das eine Hosenbein, das rechte, seiner grauen Gabardinhose war fast bis zum Knie hochgerutscht und gab den Blick frei auf das hässliche Muttermal, das einem kleinen Krokodil ähnelte und von dem sie so entzückt war, als sie verlobt waren. Ausgestreckt in der rechten, halb geschlossenen Hand, neben dem Schuhregal, lag die Zeitung. Die Seite mit dem halbgelösten Kreuzworträtsel war aufgeschlagen.
    Eine Fliege summte um seinen Kopf, offensichtlich unwissend, dass es Januar war und sie eigentlich in einem dunklen Winkel hocken und mindestens noch drei Monate schlafen sollte. All das registrierte sie, während sie noch mit den Schlüsseln zwischen Daumen und Zeigefinger schaukelnd dastand. Dann zog sie die Tür zu. Spürte plötzlich ein starkes Schwindelgefühl und öffnete reflexartig den Mund, um mehr Sauerstoff zu bekommen, aber das reichte nicht. Es war zu spät. Lautlos fiel sie nach vornüber, schräg über ihren Ehemann, und schlug sich die Augenbraue an der scharfen Kante des Schuhregals auf. Ihr eigenes helles, warmes Blut begann langsam zu laufen und vermischte sich mit seinem kalten, eingetrockneten.
    Eine Weile später erwachte sie. Vergebens versuchte sie, ihren Mann wachzurütteln, und schließlich kroch sie fünf Meter weiter ins Haus, beschmutzte Boden, Teppiche und Wände mit Blut und rief einen Krankenwagen.
    Erst als der gekommen war und man festgestellt hatte, was geschehen war, wurde die Polizei benachrichtigt. Um sechs Minuten nach eins. Die eigentliche Polizeiarbeit kam aber erst eine halbe Stunde später in Gang, als Kriminalkommissar Reinhart und Inspektor Jung mit dem Spurendienst und
dem Arzt eintrafen. Inzwischen hatte Ilse Malik erneut das Bewusstsein verloren, dieses Mal, nachdem ihr der ältere, erfahrenere der beiden Sanitäter mit sanfter Gewalt eine Beruhigungsspritze gegeben hatte.
    Was Ryszard Malik betraf, so war er zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als fünf Stunden tot, und als Kriminalkommissar Reinhart etwas irritiert von sich gab, »diese Scheiße hier lösen wir nicht vor dem Morgengrauen, meine Herren«, gab es niemanden, der auch nur eine Augenbraue aus Protest hob.

III
20. – 29. Januar

    7
    Er hätte schwören können, dass er den Stecker gezogen hatte, bevor er ins Bett ging, aber was half das? Das Telefon – dieses Blendwerk des Teufels – stand auf dem Nachttisch und schüttete seine grausamen Lärmwellen ihm ins Gehirn.
    Oder wie man es nun ausdrücken wollte.
    Er öffnete eines seiner verklebten Augen und starrte den Apparat in dem vergeblichen Versuch an, ihn zum Schweigen zu bringen. Er lärmte unverdrossen weiter. Das schrille Geräusch durchschnitt das morgengraue Schlafzimmer.
    Er öffnete noch ein Auge. Die Uhr auf dem besagten Tisch zeigte 07.55. Wer, um alles in der Welt, hatte die Frechheit, ihn an einem freien Samstag aus dem Bett zu klingeln?, überlegte er. Wer nur? Im Januar.
    Wenn es einen Monat gab, den er verabscheute, dann den Januar, der sich normalerweise eine Ewigkeit hinzog. Es regnete den ganzen Tag über, und die Sonne kam höchstens für eine halbe Stunde zum Vorschein. Das Beste, was man in dieser düsteren Jahreszeit tun konnte, war schlafen. Und sonst nichts.
    Er zog seine linke Hand unter der Bettdecke hervor und nahm den Hörer ab. »Van Veeteren.«
    »Guten Morgen, Herr Hauptkommissar.«
    Das war Reinhart.
    »Warum, verdammt, rufst du mich um halb sechs an einem Samstagmorgen an? Bist du vollkommen von Sinnen?« Aber Reinhart klang unbeugsam wie ein Parkverbotsschild.

    »Es ist acht Uhr. Und wenn man keine Anrufe haben möchte und sich weigert, einen Anrufbeantworter anzuschaffen, dann muss man halt den Stecker rausziehen. Falls der Herr Hauptkommissar zuhört, kann ich ihm erklären, wie …«
    »Halt’s Maul! Komm lieber zur Sache!«
    »Gerne«, sagte Reinhart. »Leiche in der Leufwens Allee. Mord, dass es nur so stinkt. Ein gewisser
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