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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank
Autoren: Gunnar Staalesen
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sich plötzlich nach Norden wie grünes Stahleis erhebt und draußen im Westen noch der Sonnenuntergang liegt wie ein schwelender Rand, oder wenn die erste Morgensonne sich golden zwischen den roten Hausdächern hindurchstiehlt und die wachsbleichen Menschengesichter erfaßt.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich dem Strandkai und der C. Sundsgate folgte auf dem Weg zum Westamaran nach Stavanger. Es war fast niemand draußen. Unerschütterliche Handwerker auf dem Weg zu ihrer Baustelle. Ein junges Ehepaar fuhr ein kleines Kind zur Tagesmutter. Der Markt lag verlassen, und in dem Haus, in dem mein Büro lag, war kein einziges Fenster erleuchtet. Der Wind, der durch die menschenleere C. Sundsgate fuhr, kam aus Nord und kündigte Frost an. Die nackten Straßen waren glatt. Ich schlug den Mantelkragen hoch und ging gebeugt weiter.
    Wir waren zwei Passagiere zwischen Bergen und Leirvik. Ein Mann mittleren Alters mit zwei Koffern und dem Aussehen eines vom Leben ermüdeten Handelsreisenden nahm weiter vorn im Passagierraum Platz. Ich setzte mich weit nach hinten, auf die entgegengesetzte Seite des Schiffes, so wie es Norweger gewöhnlich tun.
    Es roch stark nach Kaffee, und die Schiffsstewardeß hatte sich noch nicht den Schlaf aus den Augen gerieben. Ihr Rock war zerknittert, als hätte sie darin geschlafen. Das Haar hing schlapp herunter, und ihre Nase war rot. Als sie mir einen Pappbecher mit Kaffee reichte, lächelte sie müde, und ich schloß die Finger um den Becher und lächelte dankbar zurück.
    Das Schiff erhob sich auf Stahlflügeln, und die Reise gen Süden begann. In dem dunklen Fenster sah ich nichts als den Reflex meines eigenen Gesichts, durchbohrt von einzelnen, verstreuten Lichtpunkten. Ich dachte an Solveig.
    Die Erinnerungen an die anderen Frauen waren blasser geworden. Die Namen tauchten immer seltener in meinen Gedanken auf, und ihre Gesichter verschwanden. Nur ein Gesicht blieb zurück, und selbst mein eigenes Gesicht in der schwarzen Fensterscheibe wurde durch ihres ersetzt.
    Das Schiff warf sich hin und her in dem Stück offener See vor Stord. Der Tag war dabei, die Konturen der Landschaft wieder hervorzubringen. Der Himmel war grau, und die Wolken türmten sich langsam vor den hohen Bergen.
    In Leirvik kamen ein paar Passagiere dazu. Einige von ihnen gingen in Haugesund an Land, aber ab dort war das Schiff fast voll. Es war Viertel nach zehn. Die Passagiere waren Geschäftsleute, die leise Gespräche führten, mit einem scharfen Lächeln über den Aktentaschen, Mütter mit vielen Kindern und noch mehr Gepäck, eine Schulklasse mit einem aufgeregten Lehrer in grünen Gummistiefeln und Windjacke, ein paar Frauen mittleren Alters mit roten, redefreudigen Gesichtern und Augen, die ständig in Bewegung waren. Alle zusammen wurden wir mitgezogen durch den Karmsund und hinaus auf den offenen Boknfjord, wo die kräftigen Wellen uns auf ihre Schultern hoben und uns von einer Seite zur anderen wippten. Die Wellenkämme zischten weiß auf uns zu, und ich klammerte mich an das Sitzpolster, ein angestrengtes Lächeln um den Mund, als unternähme ich diese Reise jeden Vormittag, nur zum Zwecke der Bewegung.
    In Lee vor Randaberg beruhigte sich die See plötzlich, und wir konnten uns darauf konzentrieren, unsere Mägen wieder an ihren Platz zu schubsen, von weit oben, wo sie sich befanden, nach unten, wo sie hingehörten. Die meisten Passagiere sahen erleichtert aus, wie nach einem langwierigen Begräbnis.
    Das Schiff steuerte flink in den Byfjord hinein, und Stavanger tauchte auf mit seinem charakteristischen, flachen Profil zur Rechten und seinen hochragenden Brücken zur Linken. Die Rosenberg-Werft und die halbfertige Statfjord B-Plattform erhoben sich auf der einen Seite des Schiffes, auf der anderen Seite standen die alten Hafenspeicher mit ihren spitzen Dächern bis unten an die Hafenmauer heran. Als ich auf das Deck hinausging, wehte mir leichter Regen ins Gesicht, und ich holte den Regenhut aus der Manteltasche.
    Wir legten an, und ich ging rasch die Gangway hinunter. Ich folgte dem Skagenkai in Richtung Torget, und langsam wurde mir klar, wie sehr Stavanger sich verändert hatte, seit ich hier Ende der sechziger Jahre auf die Fachschule für Sozialwesen gegangen war. Damals war Stavanger noch eine schläfrige Kleinstadt gewesen, ohne besonders viel Leben, abgesehen von dem, was die Marinebasis auf Madla mit sich brachte. Die Bethäuser prägten die Stadt stärker als die Restaurants, und die
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