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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank
Autoren: Gunnar Staalesen
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ob nichts sein dürfe, was gut war.
    Wir nahmen die Teekanne und die Tassen und die frischen, halben Brötchen mit Ei und Tomaten mit ins Wohnzimmer, und wir saßen zusammen im Halbdunkel, beim schwachen Knistern des Kamins, saßen auf dem Sofa, dicht beieinander, die Hände um die Tassen, die Finger ineinander verwoben, ein leichter Kuß auf die Wange, eine flinke Zungenspitze in einer Ohrmuschel, ein schwacher Seufzer …
    Ich konnte sie nur ansehen. Es waren nicht so viele Abende, die wir zusammen hatten, so wie diesen, und ich mußte sie ansehen und ansehen und ansehen, so daß ich ein Bild von ihr bei mir tragen konnte, in mir drin, bis zum nächsten Mal.
    Das Blut, das pochte, an der Seite des dünnen Halses, die nackte Haut in ihrer Halsgrube, eine Haarsträhne entlang einer Wange, die weichen Lippen, fast rosarot, zart, kaum befeuchtet durch den warmen Tee … Die ersten, zaghaften Küsse.
    Später kamen die heftigeren Küsse, die langen, atemlosen Küsse, die uns schweben ließen durch den Weltraum, wie taumelnde Kometen.
    Hände, die tasten, Knöpfe finden, Reißverschlüsse öffnen, Kleider, vom Körper gezerrt, das Blut, das pocht, pocht, bis wir nackt und weiß und tanzend aneinander liegen, bis wir wie Möwen gegen den Wind uns gegeneinander aufbäumen, und sie breitet ihre Flügel aus unter mir, hebt sich wie eine Sturzwelle mir entgegen, wühlt in meinen Haaren und bohrt ihre Nägel in meinen Rücken, singt mir meinen Namen in die Ohren und wirft den Kopf hin und her, wie in – Ekstase …
    Nicht weil ich besonders gut bin im Bett. Sondern weil sie mich lieb hat. Sagt sie.
    Und danach können wir daliegen und einander noch besser kennenlernen, neue Falten entdecken, neue Düfte spüren, und ihr Schoß ist wie ein Schmetterling mit hellbraunen Flügeln, Flügeln so weich wie Staubblätter, Rosenblätter … Ihre Haut ist so weiß, und warm, und weich. Und ihre Brustwarzen sind rot und prall, selbst danach, als sei da ein ewiger Frost – eine ewige Sehnsucht – in ihr.
    Am Ende muß sie gehen, denn die Clowns können niemals bleiben, nicht die ganze Nacht. Als wir uns wieder anziehen, sind unsere Gesichter schwer von Wehmut, aber die Freude schimmert noch in unseren Augen; wir brauchen lange, um uns fertig zu machen, und die letzten Küsse sind genauso lang wie die ersten.
    »Paß gut auf dich auf – in Stavanger«, flüsterte sie.
    Ich nickte stumm und versteckte mein Gesicht in ihrem Haar. »Ich ruf dich an.«
    Sie strich mit der Hand über mein Gesicht, verharrte um den Mund herum und kraulte die Bartstoppeln, hob sich auf die Zehenspitzen und küßte mich leicht auf den Mund.
    In ihr Haar hinein sagte ich: »Ich liebe dich, Solveig.«
    »Mmmmm«, antwortete sie und lächelte mit traurigen Augen.
    Wir schlossen die Tür auf, und ich begleitete sie nach Hause durch das Novemberdunkel. Wir gingen nebeneinander, ohne etwas zu sagen. Sie schob ihren Arm unter meinen, erschauerte in der Dunkelheit. An der Ecke zwischen Nye Sandviksvei und Skuteviksvei gab sie mir einen raschen Kuß auf die Wange, ehe sie die steile Gasse hinunterging. Ich blieb stehen und sah ihr nach, bis die Haustür sich hinter ihr geschlossen hatte.
    Als ich nach Hause kam, hing der Duft von ihr noch immer im Raum. Und an meinen Fingern. Ich saß lange im Sofa, die Ellenbogen auf den Knien und die Hände vor Mund und Nase, nicht in der Lage, an etwas anderes zu denken als an sie und das, was geschehen war.
    Die Glut im Kamin war erloschen, als ich endlich aufstand und den Koffer packte. Ich sollte früh am nächsten Morgen losfahren. Aber ich lag lange in der Dunkelheit, bevor ich einschlief.
    Denn das ist das Los der Clowns: allein zu liegen, in der Dunkelheit, wenn es Nacht geworden ist; allein ins Bett zu gehen und wach zu liegen und zu träumen. Während die Menschen schlafen.

4
    Der November ist ein trostloser Monat. Die Herbststürme fetzen die letzten Blätter von den Bäumen, und die allerletzten Reste des Sommers liegen braun und modernd auf dem Gehsteig und den Straßen. Die Wolken ziehen schwer und tief über die Stadt, und der Regen fällt fast waagerecht in dem starken Wind. Dann hält der Frost seinen ersten Einzug, beißt in das Gras mit weißen Zähnen, überzieht die Wasserpfützen mit neuem, dünnem Eis. Selbst mitten am Tage wird der Himmel nie mehr als blaß. Die Sonne gibt keine Wärme mehr, und die Nächte sind lang und schwarz.
    Aber auch der November kann eine eigene Schönheit besitzen, wenn der Himmel
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