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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror
Autoren: Elisabeth Elo
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ist, glaube ich.«
    Ich nehme das kleine braune Fläschchen heraus. Er kneift die Augen zusammen, während er es betrachtet und die Kappe abschraubt. Er weiß natürlich, dass es ein Parfüm ist, und hebt es mit einer geübten Mischung aus Gleichgültigkeit und Urteils­fähigkeit an die Nase. Der Augenblick des Wiedererkennens ist auf seinem Gesicht deutlich abzulesen. Fast kann man die Moleküle in sein Stammhirn schießen sehen, wo sie ihre ganz spe­ziellen Rezeptoren finden und wie winzige Schlüssel in winzigen Schlössern lange verschlossene Türen öffnen. Zunächst ist er erschrocken. Dann taucht ein rätselhafter Ausdruck auf, der an einen jüngeren Milosa denken lässt. Stärker, geschmeidiger, hoffnungsvoll, herzlich. Ein junger Mann, der Klavier spielte, der sich verliebte. Dieser Ausdruck verschwindet schnell wieder. Als Nächstes ist er aufgewühlt, beißt die Zähne zusammen, wehrt sich gegen die völlig unerwartete Erfahrung, schraubt den Deckel des Fläschchens schnell wieder zu und gibt es mir zurück.
    »Woher hast du das?«, fragt er angespannt.
    Ich bin einen Augenblick verwirrt. Was soll ich sagen? »Ein Mann in Labrador hatte es. Ein Mann, der Isa kannte.«
    Pause. Seine Finger biegen sich fest um den Saum des Lakens. »Oh ja«, sagt er in beiläufigem Ton. »Das wird dann wohl ihr Geliebter gewesen sein. Den sie favorisiert hat.«
    »Du wusstest von ihm?«
    »Wie sollte ich das nicht wissen? Wenn sie doch jedes Jahr Ende Juli in meinen Augen als völlig veränderte Frau zurückgekommen ist. Eine friedliche, wunderschöne Frau. Ich wusste, dass sie gut geliebt worden war.« Er unterbricht sich kurz. »Wo ist der Mann jetzt?«
    »Er ist vor einem Jahr gestorben.«
    »Wie schade«, sagt er mit einem Hauch Befriedigung. »Du musst dich doch auch an ihn erinnern. Ich bin sicher, ihr habt euch kennengelernt.«
    »Ja, ich erinnere mich tatsächlich an ihn.« Fast will ich sagen, dass ich, obwohl damals noch so jung, sehen konnte, dass er Isa glücklich gemacht hat. Doch ich verschließe meinen Mund, bevor die Worte herauskönnen, denn ich will meinem Vater nicht noch mehr weh tun.
    »Wie heißt er?«, fragt Milosa.
    »Roger Naggek. Ein Einheimischer.«
    Milosa nickt nachdenklich. »Ein guter Name, glaube ich.«
    »Ich habe mich gefragt, ob … ich könnte doch vielleicht –«
    »Sein Kind sein?«
    »Ja.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Ich schlucke schwer. »Ich habe schwarzes Haar. Ich bin nicht so groß wie du oder Isa. Und … du hast mich nie so geliebt, wie du es hättest tun sollen. Du hast mich weggeschickt, als ich nichts anderes wollte, als bei dir zu sein. Und in diesem Haus gibt es kein einziges Foto von mir.«
    »Du bist meine Tochter, Pirio. Du bist in diesem Schlaf­zimmer gezeugt worden, in dem Bett, auf dem du jetzt sitzt. Ich habe dich nicht so geliebt, wie ich dich hätte lieben sollen, weil …« – er presst die Augen zusammen und atmet scharf durch die Nase ein –, »weil ich niemanden so geliebt habe, wie ich es hätte tun sollen. Nicht einmal deine Mutter. Ich habe sie angebetet, aber ich habe ihr nicht gegeben, was sie brauchte. Nur meine Besessenheit, meine Eifersucht. Ich habe sie verjagt. Dann auch dich. Und ich habe auch versagt, Maureen zu lieben.«
    »Du hast mich nicht verjagt, Milosa. Ich bin hier. Ich sitze hier, in diesem Moment.« Ich strecke den Arm aus, berühre mit den Fingerspitzen seinen Handrücken. Ich habe ihn noch nie zuvor berührt.
    Eine Träne rollt langsam über sein Gesicht. Er wischt sie nicht fort.
    »Wegen der Bilder«, sagt er und entfernt sich schnell von den Gefühlen. »Isa wollte nicht, dass du fotografiert wirst, hat keine Kamera auch nur in deine Nähe gelassen.« Außer in Labrador, wo sie sich in Sicherheit fühlte , denke ich und erinnere mich an die Fotos von mir in Rogers Kiste. »Sie war völlig irrational, was das anging«, erzählt Milosa weiter, »wie im Übrigen auch bei so manch anderen Dingen. Sie sagte, sie wollte dich vor dem beschützen, was ihr widerfahren war.« Er stößt ein kurzes, verächtliches Schnauben aus.
    Plötzlich umkreisen wir schon wieder den Strudel. Das Thema, über das wir nicht reden können. Ich muss die Frage stellen, dies könnte meine letzte Gelegenheit sein. »Was ist ihr denn in Russland zugestoßen, als ihr euch kennengelernt habt? Ich weiß, dass es etwas Schlimmes war, etwas, das sie dir nie verziehen hat.« Du hast sie verkauft, Milosa, denn so hast du das Geld verdient, mit dem du in dieses
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