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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror
Autoren: Elisabeth Elo
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gerissenes Funkeln tritt in seine Augen. »Dann war es also Mord.«
    Ich bringe ein dünnes Lächeln zuwege, bin bereit, Kreide zu fressen. »Ja, Milosa. Es war Mord. Du hattest recht.«
    »Ahhh.« Seine Lippen schließen sich sanft, während er seinen Augenblick genießt. Aber er ist kein Mann, der sich länger auf seinen Lorbeeren ausruht. Er rutscht mit dem Rücken auf den flauschigen Kissen ein wenig höher. »Und jetzt, nehme ich an, bist du damit beschäftigt, dir selbst zu gratulieren.«
    »Warum auch nicht?«, sage ich misstrauisch und erkenne zu spät, dass dies exakt die Frage ist, die er von mir hören wollte.
    »Weil du noch nicht fertig bist!«
    »Warum nicht? Was denn noch?«
    »Was noch?« Seine Stimme schraubt sich in gespielter Ungläubigkeit immer höher und knallt dann mit der nächsten Frage zurück auf die Erde. »Erzähl mir doch mal, was du über den Schwarzmarkt für Narwal-Stoßzähne weißt.«
    »Nicht viel, schätze ich. Parnell sagte, in den Kühlräumen des Trawlers lagen Hunderte zu kleinen Bündeln verschnürte Stoßzähne. Allerdings weiß ich nicht, ob noch mehr Stoßzähne an Bord waren oder wohin die Fahrt ging oder wie viele Fahrten es zuvor schon gegeben hat.«
    »Lass mich dir jetzt mal etwas sagen, was du inzwischen auch selbst hättest herausfinden können. So viele Stoßzähne kann Petrenko nicht allein von Jaegers Gruppe bekommen haben. Er muss auch noch andere Quellen gehabt haben.«
    »Oh, und ich vermute, du möchtest, dass ich sie finde«, sage ich in gespielt hölzernem Ton.
    »Jemand sollte das tun, ja.«
    Ich verschränke die Arme vor der Brust und unterdrücke meine Ungeduld. Wie er jetzt so im Bett aufsitzt, die Haare in alle Richtungen abstehend, sieht er wie ein verrückter alter Mann aus. Zum ersten Mal in meinem Leben frage ich mich, ob Milosa vielleicht tatsächlich ein kleines bisschen verrückt ist. Ich versuche, vernünftig zu klingen. »Ab diesem Punkt werden die Behörden sich darum kümmern.«
    Genauer gesagt waren Parnell und ich vom späten Montagabend bis Dienstagmorgen auf dem Polizeirevier, während Johnnys Leiche und die Stoßzähne von Bord der Kapitan Jolkow getragen wurden. Nachdem wir uns ein paar Stunden in meiner Wohnung ausgeruht hatten, sind wir zurück aufs Revier, um Aussagen zu machen und Beschreibungen zu liefern und endlos Fragen zu beantworten. Das alles war recht anstrengend, und ich war froh, es hinter mir zu haben. Abends hatten Parnell und ich es uns mit Thai-Essen, das wir uns unterwegs besorgt hatten, auf der Couch bequem gemacht. In den Elf-Uhr-Nachrichten – lokal, nicht national – gab es einen Beitrag über die angebliche Verwicklung von Ocean Catch in die Machenschaften eines ­kanadischen Wal-Wilderer-Ringes. Er war keine Minute lang. Womöglich hatte Johnny recht, als er sagte, es würde keinen Menschen interessieren.
    »Mit Behörden meinst du die Küstenwache und Polizei, nehme ich an, ja?«, sagt Milosa trocken.
    »Hm-mhm. Vielleicht auch irgendeine Bundesbehörde«, sage ich und widersetze mich dem, was er andeutet.
    Der Blick seiner wässrigen Augen wandert in die Mitte des Raums und kommt dann auf etwas zur Ruhe, vielleicht auf einem seiner düsteren Bilder. Als würde ich ihn nicht mehr interessieren. »Ich verstehe, was passiert ist. Du hattest ein kleines Abenteuer, einen kleinen Sieg, und jetzt wirst du wieder weich. Gibst auf.«
    »Ich muss mir das nicht anhören, weißt du?«
    »Ihr Amerikaner seid so schnell zufriedenzustellen«, fährt er unbestimmt fort und spekuliert darauf, dass ich nicht einfach so gehe. »Ihr setzt ein paar Fakten zusammen und beglückwünscht euch, dass ihr die Wahrheit aufgedeckt und eure Geschichte bis zum Schluss erzählt habt. Aber Wahrheit kennt kein Ende. Sie entwickelt sich einfach immer weiter, und wenn man nicht den Mumm hat, ihr zu folgen, dann fängt man an zu sterben. Trotzdem glaubt ihr bequemen Menschen immer, alles zu wissen.« Er nickt bedächtig und nimmt meine Schwäche hin, dann kehren seine Augen zu meinem Gesicht zurück. »Ich sage es noch einmal, Pirio: Nichts ist vorbei. Du bist noch nicht fertig. Du bist nur müde und möchtest deine Beine hochlegen.«
    Ich drücke mein Rückgrat durch und beuge mich vor. Ausnahmsweise, wenigstens dieses eine Mal möchte ich, dass er mir die Anerkennung zollt, etwas Gutes getan zu haben. »Was soll das mit diesen Geschichten? Wovon redest du überhaupt? Ich erzähle keine Geschichte. Fast zu ertrinken – war das eine
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