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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror
Autoren: Elisabeth Elo
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Geschichte? Was ist mit der netten alten Dame, die ermordet wurde? Oder dem Meth-Süchtigen? Oder mit all den Walen? Ich habe sogar eine ganze Menge getan – mehr, als ich hätte tun müssen. Ich habe einen Wilderer-Ring auffliegen lassen, und ich habe zwei Mordfälle gelöst. Ich muss gar nichts mehr tun. Willst du wissen, warum nicht? Weil ich in einem zivilisierten Land lebe, in dem es Richter und Gerichte und ein Rechtssystem und Umweltschutz gibt. Klar, es ist nicht perfekt hier, aber in diesem Land, in diesem Amerika, das du so schmähst, obwohl du es zu deiner Heimat erkoren hast, funktionieren ein paar Dinge wirklich. Ab und zu kommt die Wahrheit heraus. Menschen können sich aufeinander verlassen, Sie können vertrauen .«
    Er setzt sich auf und beugt sich zu mir vor, bis unsere Nasen nur noch dreißig Zentimeter auseinander sind. »Was höre ich da? Du hältst mir einen Vortrag über das Leben? Du belehrst mich ? Was du weißt, füllt gerade einmal einen Fingerhut!«
    Zorn und Vernunft wetteifern um die Kontrolle über meinen Mund, und die Wut gewinnt. Ich verringere den Abstand zwischen unseren Nasen auf etwa fünfzehn Zentimeter. »Ach ja, wirklich? Ist das so? Nur weil du in einem beschissenen Gulag aufgewachsen bist oder was immer das war, Hühnern die Köpfe abgehackt und deinen Wodka ausgekotzt hast, hast du noch lange nicht das Recht, mein Weltbild zu kritisieren!« Inzwischen weiß ich kaum noch, was ich sage. Die Worte sind nur Trümmer in einer Flut.
    »Kritik«, spottet er und lehnt sich in seine Kissen zurück. »Ist es das, wovor Pirio Angst hat?«
    »Du treibst mich in den Wahnsinn!« Ich erhebe mich in einem wütenden Anfall vom Bett. Ich stampfe tatsächlich mit dem Fuß auf. »Kein Mensch kommt mit dir aus. Du würdest selbst Mutter Teresa in den Wahnsinn treiben. Kein Wunder, dass Isa immer aus dem Haus gestürmt ist!«
    Seine Miene verhärtet sich. »Noch ein Thema, von dem du keine Ahnung hast.«
    »Oh, dräng mich nicht, was das betrifft, Milosa. Denn eigentlich weiß ich sogar eine ganze Menge.« Und ich bin drauf und dran, es ihm um die Ohren zu hauen. Isas Affäre. Es wäre zutiefst befriedigend, den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen.
    Doch ein Funken Verstand hält mich zurück. Ich sehe ihn dort sitzen, hochgelagert wie eine schwache Großmutter, in einem Baumwollschlafanzug, vorne drauf Flecken von ver­kleckerten Mahlzeiten. Er liegt allein in diesem leeren Bett, in seinem Leben. Stirbt. Das Blau seiner Augen wird nie wieder strahlend sein. Seine früher breiten Schultern hängen heute ­her­ab. Maureen ist den Flur hinunter in ihrem Büro, macht, was immer sie gerade tut, wenn sie sich nicht einem theatralischen Sturm gespielter Ungeduld hingibt und ihn ausschimpft wie ein kleines Kind. Gnade ist das Wort, das mir in den Sinn kommt.
    Mit einiger Mühe schlucke ich meinen Zorn herunter, und zu meiner Überraschung kommen mir Tränen. »Können wir aufhören? Können wir bitte einfach aufhören?«
    »Warum?« Seine Blicke provozieren mich. Er will einen guten Streit. Braucht ihn vielleicht auf eine Art.
    Aber ich nicht. Ich setze mich wieder aufs Bett, rutsche ein Stück näher. »Milosa, du stirbst. Sieh doch nur, du liegst im Sterben, okay? Du stirbst .« Ich weiß nicht, warum ich das wiederholen muss. »Es ist deine Entscheidung, schnell zu gehen, stimmt’s? Keine Medikamente, keine Dialyse. Das wolltest du doch. Okay. Von mir aus. Aber lass uns bitte nicht die Zeit verschwenden, die wir noch haben, indem wir all die Scheiße sagen, die wir uns schon Hunderte Male gesagt haben. Lass uns was Neues ver­suchen. Lass uns gottverdammt nett zueinander sein.«
    Er bekommt große Augen. » Nett , sagst du. Also gut, wenn es das ist, was du willst. Dann bin ich zu dir nett .« Er faltet seine Hände ordentlich auf der Bettdecke. Entkrampft sein Gesicht und lässt es in einem himmlischen Lächeln erstrahlen. Er könnte als Putte von Tizian durchgehen, wäre er nicht alt, miefend und ver­bittert.
    »Witzig. Ha-ha. Aber ich warne dich: Ich werde mich nicht mehr mit dir streiten. Da wirst du dir einen anderen suchen müssen.«
    »Ja, wen denn?«, schmollt er. »Maureen kann das gar nicht. Nicht so wie Isa. Oder du.«
    Ich zupfe einen Fussel vom Ärmel seines Schlafanzugs. »Vielleicht kannst du jemanden einstellen. Es muss doch Leute geben, die dich gegen Bezahlung anpöbeln. Und jetzt hörst du mir bitte mal zu. Ich muss dir etwas geben. Du wirst sofort wissen, was es
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