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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: B.C. Schiller
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einer merkwürdigen Realität, die ich so noch nie erlebt hatte. Und so nahm das Unheil wie in einer griechischen Tragödie seinen Lauf.
    „Ich, ich arbeite als freiberufliche Fotografin“, stammelte ich. Mehr brachte ich nicht über die Lippen und ich kam mir albern und dumm wie ein kleines Mädchen vor, denn ich war doch die Jägerin und hatte meine Beute bereits erlegt. Das jedenfalls dachte ich damals, nur jetzt bin ich klüger.

    „Ich bin die Jägerin und habe alles unter Kontrolle!“, rufe ich, um die Erinnerung abzuwürgen und wieder hier bei mir zu sein. Genervt drücke ich auf die Hupe, um den Fahrer vor mir aufzuwecken, aber es ist zwecklos, wir stecken alle in einem unentwirrbaren Stau. Ich spüre, wie mir unter der dicken Lederjacke der Schweiß die Achseln hinunterläuft und am Rücken die Wirbelsäule entlangrinnt. Das wird echt peinlich, wenn ich vor meinem Liebhaber stehe, die Lederjacke zu Boden fallen lasse und er mein verschwitztes T-Shirt sieht, durch das sich die Konturen meines Busens deutlich erahnen lassen; deshalb trage ich es ja heute auch.
    Doch schnell mahne ich mich wieder zur Ordnung. Die Erinnerung mag zwar süß sein, aber sie ist nun einmal Vergangenheit und jetzt gilt es, die Gegenwart zu meistern und an die Zukunft zu denken. Die Gegenwart habe ich jetzt in diesem Moment als schwitzende Frau im Stau, die von einer erotischen Begegnung fantasiert. Aber die Zukunft ist am interessantesten, denn diese wird mir zeigen, ob ich eine Mörderin bin oder nicht.
    Nach einer viel zu langen Fahrt bin ich in der Operngasse und muss dreimal im Kreis fahren, bis ich endlich einen Parkplatz finde. Automatisch zücke ich mein Businesshandy, um einen SMS-Fahrschein zu lösen, erinnere mich aber im letzten Moment daran, dass mich diese SMS belasten könnte. Auch bisher habe ich die Parkscheine immer mit der Hand ausgefüllt, wenn ich Talvin in seiner Wohnung besucht habe. Als ich vor der großen finsteren Haustür stehe, muss ich so wie jedes Mal tief durchatmen. Ich verrenke den Kopf, um einen Blick hinauf auf die Terrasse in dem ausgebauten Dachgeschoß werfen zu können, wo sich in diesem Augenblick vielleicht mein Liebhaber gerade über das Geländer beugt und mir einen Kuss zuwirft. Aber im schnellen Wechsel von grellem Licht und Schatten kann ich natürlich nichts erkennen.
    Gerade als ich auf die Klingel drücken will, bemerke ich, dass jemand das kleine Messingschild ausgewechselt haben muss. Dort, wo früher T. Singh gestanden hat, steht jetzt plötzlich nichts mehr. Nur ein leeres rechteckiges Messingschildchen, das frisch poliert ist und in dem sich verzerrt mein verblüfftes Gesicht mit der großen Sonnenbrille spiegelt, denn ich starre auf das Schild, als wäre es ein Kunstwerk.
    Jemand hat also das Namensschild meines Liebhabers unten von der Klingeltafel entfernt, wahrscheinlich, weil alle Mieter des Hauses einheitliche Namensschilder erhalten sollen, denn das Haus wird im Augenblick saniert und außer Talvins Wohnung im fünften Stock stehen alle anderen Stockwerke zur Zeit noch leer. Die Wohnungen werden zu möblierten Apartments umgebaut, hat er mir einmal erklärt. Mit meinem Zeigefinger drücke ich auf die Klingel und lausche. Wie oft schon habe ich auf diese Klingel gedrückt, eigentlich dürfte dieser Knopf gar nicht mehr vorhanden sein, so viele Male wurde er von mir betätigt, von Mal zu Mal ungestümer, heftiger, ja auch wütender, das muss ich zugeben.
    Nichts rührt sich, das ist also der neueste Trick meines Liebhabers. Er macht sich rar, wartet, bis ich beinahe die Klingel ruiniert habe, um sich dann verschlafen durch die Gegensprechanlage zu melden und völlig überrascht zu wirken, dass ich schon ewig unten warte. Denn er weiß: Ich warte nicht gerne, denn ich fühle mich dann zurückgesetzt, missachtet und er hat die Oberhand. Das ist irgendetwas Frühkindliches, hat mir Dr. Mertens freundlich erklärt, als ich ihm davon erzählt habe, natürlich ohne Talvin zu erwähnen: „Dem brauchen Sie keine Bedeutung beizumessen, Adriana!“
    Das mag zwar für ihn keine Bedeutung haben, aber für mich ist der Stress riesengroß. Ich muss mich beherrschen, darf mich nicht in Fantasien verlieren, muss an viele Dinge gleichzeitig denken und bin dann ganz erschöpft, wenn endlich der Türöffner summt und ich aufatmend in die Arme von Talvin sinke.
    So war das früher vielleicht, aber jetzt ist alles anders. Diese Veränderung zeigt sich schon darin, dass die Gegensprechanlage
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