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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: B.C. Schiller
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benehme mich, als würde ich ihn gleich heimlich treffen und vor Erregung und Vorfreude schon ganz kribbelig werden. Doch jetzt bin ich beinahe geschäftlich auf dem Weg zu seiner Wohnung, weil ich Gewissheit brauche.
    Immer wenn ich spüre, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird und ich am Rand des Abgrunds balanciere, dann hole ich meine Rüstung hervor, die mich schützt. Es ist die dicke schwarze Lederjacke mit den vielen Zipps, die mein Mann Gregor so hasst, denn sie ist einfach nicht damenhaft. Bei den derzeitigen sommerlichen Temperaturen wirkt sie ein wenig deplatziert, gibt mir aber die Sicherheit, dass alles wieder gut werden wird.
    Schwitzend sitze ich in meinem Auto, das Gregor großzügigerweise bezahlt hat, als ich vor fünf Jahren eine Zeit lang in der Klinik war und nichts verdient habe. Im Gegenzug durfte es dann aber kein Mini Cooper sein, sondern wurde ein langweiliger Volkswagen. Nicht zu billig, aber auch nicht zu teuer! Das ist Gregors Maxime, der immer mit einem Auge auf potenzielle Wähler schielt.
    Ich quäle mich also durch den Berufsverkehr, passiere im Schritttempo das Volkstheater, bin dann schon am Museumsquartier, dort wo ich Talvin das erste Mal im Sucher hatte. Sucher ist das richtige Wort, denn tatsächlich war ich für ein Fotoshooting direkt im Museumsquartier gebucht. Es war kein großartiger Job, sondern ein Shooting für ein junges österreichisches Designerduo namens Babe & Chris. Die Models waren auf originellen, bunten Liegen drapiert und streckten die gegrätschten Beine in die Höhe. Von Bein zu Bein ging eine Schnur und daran waren die Designerstücke aufgefädelt wie auf einer Wäscheleine. Um einen interessanten Blickwinkel zu erzielen, experimentierte ich mit einem extremen Teleobjektiv, mit dem ich den jeweiligen weit entfernten Hintergrund entweder scharf oder verschwommen einstellen konnte, ohne die Aufmerksamkeit des Betrachters von der Kollektion abzulenken.
    Das Shooting verlief reibungslos und ohne größere Höhepunkte. Gegen Mittag versuchte ich, vom Museumsquartier aus direkt nach unten auf den Heldenplatz zu fotografieren, brauchte dafür aber einen Fixpunkt. Der Sucher zog über den kleinen Park, in dem Touristen und Studenten saßen und die Sonne genossen. Wie automatisch fiel der Sucher auf einen Mann, der mit geschlossenen Augen und hinter dem Nacken verschränkten Händen im Gras lag und schlief. In der Frühlingssonne wirkte sein Gesicht so entspannt und ebenmäßig schön, dass ich mit einem leisen Seufzer die Kamera sinken ließ. Sekunden später hatte ich sie aber schon wieder oben und in diesem Moment hatte sich der Mann mit einer eleganten Bewegung aufgerichtet. Obwohl es unmöglich war, blickte er mir direkt in die Augen und schenkte mir das spöttischste Lächeln, das ich jemals gesehen hatte und dieses Lächeln eröffnete das Spiel.
    Während ich den Mann mit meiner Kamera immer näher zoomte, stand er plötzlich auf, so als wüsste er, dass ich ihn in mich aufsaugen wollte, um ihn nie wieder loszulassen, drehte sich um und ging. Doch diese Beute durfte ich mir nicht entgehen lassen und so zögerte ich keine Sekunde. Eine lahme Entschuldigung ausstoßend hastete ich aus dem Hof, die entgeisterte Fotocrew starrte mir hinterher, denn mit meiner Entscheidung hatte ich den ganzen Tagesablauf durcheinander gewirbelt.
    „Oh, oh, unsere liebe Adriana muss vielleicht noch der Kaiserin Sissi ihre Aufwartung machen!“, hörte ich Raul, meinen Visagisten verärgert hinter mir herrufen. Doch das alles interessierte mich nicht mehr.
    Elend lange musste ich warten, bis die Ampel auf Grün umschaltete und ich die Verfolgung aufnehmen konnte. Wie eine archaische Jägerin pirschte ich hinter dem Mann her, der sich mit geschmeidigen Bewegungen seinen Weg durch die Menge bahnte und der bald meine Trophäe sein würde.
    Im Sucher studierte ich meine Beute genau: Er sah aus wie ein schönes exotisches Raubtier. Sein schlanker Körper und die gebräunte Haut ergänzten sich perfekt mit dem schwarzen Hemd, das lose im Wind flatterte. Um den Hals hatte er einen bunten Schal gewickelt, der seinem düsteren Äußeren einen fröhlichen Touch gab. Unter dem Arm trug er eine dunkle Aktentasche, die ein wenig deplatziert wirkte … aber egal. Natürlich fielen mir sofort seine kurzen schwarzen Haare auf, die wie der Helm eines Fürsten im Sonnenlicht strahlten. Überhaupt ging von ihm etwas Majestätisches aus, er war ein Herrscher aus einer anderen Zeit und
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