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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: B.C. Schiller
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entlang balancieren und meine schwere Kamera schlägt so fest gegen meine Brust, dass ich nicht mehr atmen kann. Das riesige Teleobjektiv, das ich jetzt immer öfter verwende, schwingt wie der Klöppel einer alten Pendeluhr und zerrt mich unerbittlich in Richtung Abgrund. In diesen Augenblicken hilft es nur, so schnell wie möglich Dr. Mertens aufzusuchen.
    Doch auch Dr. Mertens, der Psychiater hat mir verboten, den Namen Paul auszusprechen. Dr. Mertens ist eine Kapazität, was Verlusttraumata anbelangt und seine Argumente haben mich überzeugt und schweren Herzens habe ich es schließlich akzeptiert. Sein Gutachten hat auch bei dem Vorfall vor fünf Jahren die schwedische Polizei überzeugt und ich kam glimpflich davon. Dafür durfte ich den Namen meines Sohnes nie wieder erwähnen. Schon seit fünf Jahren halte ich mich daran und die Karriere meines Mannes war nur kurz gefährdet, als es damals in Schweden diesen Zwischenfall gab.
    Aber jetzt spüre ich, dass es bald wieder soweit ist, dass ich im Begriff bin, etwas Unüberlegtes zu tun oder habe ich es vielleicht schon längst getan? Zärtlich streiche ich über die Rückseite des Bilderrahmens, widerstehe dem starken Drang, das Papier aufzureißen, um Paul noch ein letztes Mal zu sehen. Ganz vorsichtig stelle ich das Bild zurück, richte es ordentlich aus, damit nichts darauf hindeutet, dass es verschoben wurde. Als ich nach meiner schweren Fliegeruhr greife, die so gar nicht zu mir passt, wie Gregor schon öfter spitz angemerkt hat, fühle ich mich plötzlich wieder stark und unverwundbar.
    Ich werde in die Wohnung meines Liebhabers fahren und mich selbst davon überzeugen, dass ich nur einen ziemlich realistischen Traum gehabt habe und nicht verrückt bin. Dass ich mich von meinem Liebhaber getrennt habe, um wieder neu anzufangen. Vielleicht auch, um meine Ehe zu retten, denn ich liebe meinen Mann noch immer. Ist das erledigt, kann ich wieder zur Tagesordnung zurückkehren und alles für das morgen auf dem Plan stehende Fotoshooting organisieren. Vielleicht treffe ich mich heute Abend noch mit Marion, meiner besten Freundin, die den neuesten Klatsch kennt. Oder ich rufe Raul an, meinen schwulen Visagisten, und plaudere mit ihm stundenlang am Telefon. Raul anzurufen ist eine gute Idee, denn sein Talent, die Stimmen von Prominenten zu imitieren, bringt mich immer wieder zum Lachen und auf andere Gedanken.
    Doch jetzt mache ich mich auf den Weg in die Wohnung meines Liebhabers. Ich fahre in die Wohnung von Talvin Singh, um mich davon zu überzeugen, dass ich ihn nicht ermordet habe.

2. Dienstag - vormittags

    Talvin Singh ist ein indischer Philosophiestudent mit den schwärzesten Haaren, die man sich nur vorstellen kann. Sie sind so schwarz, dass sie bereits einen Stich ins Bläuliche haben und im Sonnenlicht wie edles Metall leuchten. Die Wimpern von Talvin Singh sind lang und dicht und wenn er die Lider senkt, dann ist es, als würde sich ein seidiger, schwarzer Vorhang über seine Augen legen. Seine Haut ist hellbraun wie kostbare Schokolade und weckt dieselben Glücksgefühle, wenn ich mit meiner Zunge darüber lecke. Der Geschmack seiner Haut ist auch immer leicht salzig und erinnert an seine Heimatstadt Chennai, die früher Madras hieß und direkt am Golf von Bengalen in Südindien liegt. Talvin Singh spricht fließend Deutsch mit einem singenden, undefinierbaren Dialekt und ich könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er meinen Solarplexus massiert, dabei von der Bibliothek der Theosophischen Gesellschaft und seinem Großvater, dem berühmten Bibliothekar aus Madras, erzählt.
    Wenn wir nebeneinander auf den duftenden Decken liegen und uns im Spiegel betrachten, der direkt über dem Bett an der Decke befestigt ist, dann wirkt sein Haar schwärzer als schwarz und meines blonder als blond. Oft verschränken wir unsere Körper ineinander – nur zu dem Zweck, um so ein Muster aus heller und dunkler Haut zu zaubern und es im Spiegel zu begutachten. Nur einmal habe ich mit meiner Kamera ein Foto unserer nackten Körper im Spiegel geschossen, es aber dann sofort wieder gelöscht. Talvin Singh will ich nur in meiner Vorstellung besitzen, denn nur dann kann er ganz mir gehören.
    Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass Talvin Singh 27 Jahre alt ist, ich also zwölf Jahre älter bin. Doch der Altersunterschied ist kein Problem für uns.
    Ich habe das Verhältnis mit meinem Liebhaber beendet und denke noch immer genauso verliebt an ihn wie vor einigen Wochen. Ich
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